Lea | Peled |
Lea Peled was born in Vienna in 1924 and grew up in the 3rd district. After the “Anschluss” in 1938, Peled stayed in Vienna with her ill mother, while her father and brother fled abroad. After her mother’s death, Peled was able to reach Denmark in Autumn 1939 with the help of the Youth Aliyah, In March 1941, Peled emigrated via Scandinavia and the USSR to Palestine. She lived in the Kibbutz Ben Schemen, Peled was a graphic designer and lived in Ramat HaScharon at the time of her interview. |
Full interview
Part 1 |
in chronological order
Teil 1
LSY: Interview am 20. November 2013, mit Lea Peled, interviewt von Lisa Schulz-Yatsiv. Wir befinden uns in der Wohnung von Lea. Kannst du mir von deinen frühesten Kindheitserinnerungen aus Wien erzählen?
LP: Meine früheste Erinnerung ist, dass ich mitten im Zimmer am Topf gesessen bin und gedacht habe: „Heute ist heute.“ Das ist meine früheste Erinnerung. Und alle Leute waren rundherum, und ich habe gesagt: „Ich schäme mich!“ Dann haben sie gesagt: „Mach’ die Augen zu, dann sieht man dich nicht.“ [Lacht.]
LSY: Kannst du mir etwas von deiner Familie erzählen, deinen Eltern, Geschwistern?
LP: Vater, Mutter, Bruder…wir waren eine kleine Familie. Meine Mutter hat einen Bruder gehabt, der war auch…das war unsere Gesellschaft. Wir waren immer zusammen, mit zwei Cousinen, ungefähr in meinem Alter, und…das ist es.
LSY: Ihr habt immer viel Zeit zusammen in der Familie verbracht?
LP: Ja, wir haben viel Zeit verbracht. Wir haben zusammen Ausflüge gemacht, und wir haben uns im Eislauf-Verein getroffen und solche Sachen.
LSY: Wohin habt ihr Ausflüge gemacht?
LP: In den Wienerwald, auf den Anninger in Mödling, und…ich weiß nicht, viele Ausflüge. Hütteldorf habe ich gern gehabt und den Lainzer Tiergarten.
LSY: Was hat dein Vater beruflich gemacht?
LP: Mein Vater war Kaufmann. Wir hatten ein Geschäft.
LSY: Was für ein Geschäft?
LP: Herrenmode, Landstraßer Hauptstraße. Und mein Vater hat auch eine Vertretung genommen, auch für Herrenmode.
LSY: Und die Mutter war zu Hause?
LP: Die Mutter war im Geschäft.
LSY: Was sind deine Erinnerungen an deine Schulzeit, an die Schulkollegen?
LP: Meine Schulzeit? Da war die Volksschule…es war nichts Besonderes, nichts Dramatisches. Und dann bin ich in die Mittelschule gekommen, das war am Gürtel, an der Frauen-Erwerb-Verein, eine staatlich anerkannte Privatschule. Dort war ich vier Jahre, bis zum Anschluss. Wie ich vierzehn Jahre alt war, war der Anschluss, und dann konnte ich genau die vierte Klasse beenden.
LSY: Hast du noch Erinnerungen an deine Schulkollegen, an die Lehrer dort? Wie waren die?
LP: Die Lehrer? Ich weiß nicht, wie das jetzt zwischen Schülern und Lehrern ist, aber damals waren hier die Schüler und hier die Lehrer. Es waren nette und weniger nette.
LSY: Was für Erinnerungen hast du an deine Freunde damals?
LP: Ich habe…ohne, dass es mir jemand gesagt hat, habe ich immer jüdische Freundinnen gehabt. Das war…irgendwie sind wir zusammengeklebt. Und ich hatte gute Freundinnen. Eine hat in demselben Haus gewohnt, wo ich gewohnt habe, und wir sind zusammen in die Schule gegangen, zusammen zurückgekommen, und wir schreiben uns bis heute.
LSY: Was hast du in deiner Freizeit gemacht?
LP: Ich habe nicht viel Freizeit gehabt. Es waren Schulaufgaben zu machen, und meine Eltern haben darauf bestanden, dass ich jeden Tag wenigstens eine Stunde draußen sein muss, im Park oder irgendetwas. Wir sind eislaufen gegangen…solche Sachen.
LSY: Wart ihr eine religiöse Familie?
LP: Nein, wir waren keine…mein Vater ist ein- oder zweimal im Jahr in den Tempel gegangen, zu den hohen Feiertagen. Ich überhaupt nicht…ich habe einmal die Nase hineingesteckt, und dann habe ich sie schnell wieder hinausgenommen. Ich habe die Leute gesehen, wie sie gebetet haben.
1/00:05:07
LSY: Aber ihr hattet auch Kontakt zu anderen jüdischen Familien in Wien?
LP: Ja, meine Freundinnen und…wir haben uns zu Hause besucht und manchmal Ausflüge zusammen gemacht, uns im Eislauf-Verein getroffen.
LSY: Warst du professionelle Eisläuferin? Warst du in einem Verein, wo du Eislaufen gemacht hast?
LP: Wo wir eisgelaufen sind? Das war im Eislauf-Verein. Und ich weiß nicht mehr, wo genau das war, aber das war gegenüber von der Schule, wo mein Bruder in die Schule gegangen ist. Das war das Akademische Gymnasium. Ich weiß nicht mehr genau wo.
LSY: Da bist du regelmäßig zum Eislaufen gegangen? Das war so--
LP: --ja. Warum?
LSY: Nicht warum, aber das war quasi in einem Verein?
LP: Das war Kunsteis, und auch wenn es nicht so kalt war, war es Eis…den ganzen Winter.
LSY: Bist du später in deinem Leben auch noch eislaufen gegangen?
LP: Später? Wann später?
LSY: Als du in Israel warst.
LP: Ich habe keine Schlittschuhe gehabt. Ich habe auch den Sommer lieber gehabt. Ich bin lieber geschwommen als eisgelaufen.
LSY: Seid ihr in den Seen schwimmen gegangen, oder seid ihr ins Schwimmbad gegangen?
LP: Schwimmen?
LSY: Ja, wo?
LP: In Mödling meistens…da war auch ein Hallenbad und ein offenes Bad, und wir waren sehr viel dort.
LSY: Du und die Familie, habt ihr euch sehr österreichisch gefühlt?
LP: Ich habe mich als Österreicherin gefühlt, und so bin ich erzogen worden. Und das war natürlich ein großer Schock, wie man mir plötzlich vor die Nase gehalten hat, dass ich das nicht bin.
LSY: Vor dem Anschluss hast du keine Erfahrungen mit Antisemitismus gemacht?
LP: Oh ja, ich habe…ich weiß nicht, ich habe das irgendwie…das hat mich nicht betroffen. Und außerdem war ich sehr unwissend.
LSY: Hat man in der Familie zum Beispiel darüber gesprochen, als die Nazis in Deutschland an die Macht gekommen sind? Hat man sich da Gedanken gemacht?
LP: Ja, alle haben gesagt, das ist natürlich nicht gut für die Juden. Aber sonst habe ich nichts weiter darüber gedacht. Natürlich hat das gleich angefangen, und man hat gleich gesehen, was da los ist.
LSY: Hatte man keine Angst, dass die Nazis auch nach Österreich kommen werden?
LP: Es waren viele illegale Nazis, und alle haben das gewusst, aber irgendwie hat man gedacht, dass es nicht dazu kommt. Aber es ist doch dazu gekommen.
LSY: Was für Erinnerungen hast du an den Tag vom Anschluss?
LP: Große Bestürzung…und mein Bruder und ich sind auf die Ringstraße gegangen und haben geschaut, wie Hitler eingezogen ist, auf einem offenen Wagen. Alle haben gejubelt und ihn mit offenen Armen empfangen, und überall sind diese Hakenkreuzfahnen gehangen. Und dann haben alle möglichen Dinge angefangen. Man durfte das nicht und das nicht, und im Park ist gestanden: „Juden und Hunde kein Eintritt“, und solche Sachen.
LSY: Und ihr seid dann hauptsächlich zu Hause geblieben, oder wie habt ihr euch dann nach dem Anschluss verhalten?
LP: Wir sind nicht zu Hause geblieben. Ich bin als Österreicherin erzogen worden, und was die „jüdisch aussehen“ genannt haben…wir haben nicht jüdisch ausgesehen und haben uns sehr gut gefühlt und sind überall hingegangen. Wir haben gewusst, dass man uns nicht als Juden erkennen wird. Aber wir haben alles Mögliche gesehen, was nicht schön war. Mein Bruder wurde fast totgeschlagen.
LSY: Was ist da genau passiert?
1/00:10:05
LP: Wie das passiert ist?
LSY: Ja.
LP: Sie sind heraufgekommen, die Nazis, und haben meinen Bruder geholt, zum Reiben. Auf der Straße waren Kruckenkreuze aufgezeichnet, und man hat die Juden genommen, dass sie das wegreiben sollen. Und mein Bruder hat das sehr brav gemacht, bis ihm einer das schmutzige Wasser auf ihm ausgeschüttet hat. Und da ist er aufgesprungen und hat dem Mann einen Kinnhaken gegeben. Und er ist zurückgefallen, und die anderen haben die Gummiknüppel herausgezogen und haben auf ihn losgeschlagen. Und er ist davongelaufen…nicht in unser Haus, in ein anderes Haus. Und dann haben wir ihn dort gefunden im Stiegenhaus, halbtot und mit solchen Beulen. Wir haben ihn in ein Taxi gesteckt und zu meinem Onkel nach Mariahilf gebracht. Wir haben im 3. Bezirk gewohnt.
LSY: Wurdest du auch angegriffen?
LP: Nein. Ich wollte mit, wie sie meinen Bruder geholt haben. Da habe ich gesagt, ich komme mit, aber sie wollten mich nicht haben.
LSY: Was ist dann mit dem Geschäft vom Vater passiert?
LP: Mit dem Geschäft? Mein Vater hat gesehen, was da kommt, und hat das Geschäft…er hat dort zwei Arbeiterinnen gehabt, und die eine war sehr nett, und er hat ihr sehr viel Vertrauen geschenkt. Er hat gesagt: „Nimm’ das Geschäft und mach’ damit, was du willst und kannst. Und wenn später sich einmal etwas ändert, vielleicht kannst du mir was zurückgeben.“ Aber er hat es einfach hergegeben, das Geschäft.
LSY: Er muss gewusst haben, dass es--
LP: --ja, er hat einen Freund gehabt aus dem Krieg. Mein Vater war Soldat im Ersten Weltkrieg und hat Freunde gehabt, die Nicht-Juden waren. Und der hat ihm gesagt: „Du bist ein Jud’, und du hast keine Ahnung, was die imstande sind zu machen! Lauf weg, so schnell du kannst!“ Und mein Vater hat versucht, die Sachen aufzulösen, das Geschäft herzugeben, und er ist nach Frankreich geflüchtet. Alle haben gedacht, Frauen und Kinder sind immun, aber das war natürlich nicht so.
LSY: Deswegen ist er auch ohne euch--
LP: --ohne uns, ja. Er hat gedacht, er wird dort in Frankreich…von dort wird er uns kommen lassen, aber er war illegal in Frankreich und konnte nichts tun. Und meine Mutter war nicht gesund, sie hat ein schwaches Herz gehabt.
LSY: Deswegen hat man überlegt, dass ihr erst noch in Wien bleibt? Weil die Mutter auch krank war, ist der Vater erstmal allein nach Frankreich?
LP: Ja. Und mein Bruder ist illegal hierher gekommen, auf einem Schiff. Das war…Alija Bet hat man das genannt.
LSY: Hast du auch noch Erinnerungen an den 9. November 1938, an die Reichskristallnacht?
LP: An die Kristallnacht? Mein Vater war nicht mehr da und mein Bruder auch nicht. Ich war mit meiner Mutter alleine, und wir sind in eine kleinere Wohnung gezogen. Ich habe mit meiner Mutter dort gewohnt, und alle haben Angst gehabt rauszugehen. Und dann haben wir gehört, was geschehen ist.
LSY: Am nächsten Tag dann…habt ihr das von anderen Leuten gehört?
LP: Ja, am nächsten Tag hat man drüber gesprochen, was war.
LSY: Seid ihr auch rausgegangen und habt geschaut--
LP: --man hat bei uns angeklopft und meinen Vater gesucht, aber er war ja in Paris.
LSY: Dann sind sie einfach wieder gegangen?
LP: Ja.
LSY: Ab wann habt ihr, du und deine Mutter, daran gedacht, dass ihr Wien verlassen müsst?
LP: Meine Mutter hat ein schwaches Herz gehabt, und ist immer krank…der Arzt hat gesagt: „Du kannst bis 90 Jahre leben, aber du darfst dich nicht aufregen.“ Das ging natürlich nicht. Es war unmöglich, sich nicht aufzuregen. Und sie ist gestorben. Ich war allein mit meiner Mutter, wie sie gestorben ist. Und dann habe ich bei allen möglichen Verwandten herumgewohnt. Man hat mich in die Jugend-Alija eingeschrieben, und zum Schluss bin ich auf Hachschara geschickt worden, nach Dänemark.
1/00:15:22
LSY: Nach dem Tod der Mutter warst du erstmal ganz alleine in Wien? Das muss auch sehr hart gewesen sein.
LP: Ja. Aber ich war vierzehn Jahre alt, und ich war sehr verwirrt von all dem, was geschehen ist. Mein ganzes Leben, wie ich es gekannt habe, ist zusammengefallen. Und alles war neu, alles war anders.
LSY: Und dann hast du erstmal bei verschiedenen Verwandten gewohnt?
LP: Ja.
LSY: Und die haben dich dann in die Jugend-Alija--
LP: --die sind ausgewandert, und wie die ausgewandert sind, habe ich bei anderen Verwandten gewohnt. Und zum Schluss habe ich bei der Mutter meiner besten Freundin gewohnt. Die Freundin war schon in England mit ihrer Schwester, und dort hat man mich in die Jugend-Alija eingeschrieben. Da habe ich erst über Zionismus gelernt, ich habe gar nichts gewusst--
LSY: --vorher nie--
LP: --keine Ahnung gehabt. Aber ich habe sehr schnell Feuer gefasst, und von dort sind wir dann auf Hachschara geschickt worden, zuerst in Österreich, und dann bin ich nach Dänemark geschickt worden.
LSY: Wo warst du auf Hachschara in Österreich?
LP: Das war in Niederösterreich, im Otterthal. Es hat Otterthal geheißen…ich weiß nicht mehr genau, wo das war.
LSY: Was habt ihr da gelernt?
LP: Wir haben über Israel gelernt und haben gearbeitet. Das war ein Gut dort…ich weiß nicht, wem das gehört hat, vielleicht einem Juden früher. Und dort habe ich gearbeitet und gewohnt.
LSY: Hat man auch schon Hebräisch gelernt?
LP: Ja, aber das war…wir haben soviel anderes gelernt. Hebräisch war so fremdartig.
LSY: Hauptsächlich in der Landwirtschaft zu arbeiten habt ihr dort gelernt?
LP: Ja. Ich habe das gerngehabt…immer, auch vorher. Wenn wir auf Sommerfrische gefahren sind, war ich sofort immer im Kuhstall bei den Bauern und überall.
LSY: Wann seid ihr dann nach Dänemark?
LP: Ich bin im Herbst [19]39 nach Dänemark gefahren.
LSY: Mit einer Gruppe von Mädchen?
LP: In einer Gruppe von Kindern.
LSY: Mit dem Zug?
LP: Ich weiß nicht mehr genau, wie das war, aber man hat mir gesagt, wo ich sein soll und was ich mitbringen soll, was ich nicht mitbringen darf, und andere Kinder auch, und wir haben uns irgendwie…das war alles organisiert. Und ich war so verwirrt, dass ich sowieso nicht genau gewusst habe, was geht.
LSY: Und wo seid ihr dann in Dänemark angekommen?
LP: In Dänemark erst in Kopenhagen, und dort haben wir eine Nacht verbracht. Dann hat man uns jeden auf seinen Platz geschickt zu seinen Bauern.
LSY: Ihr seid dann in Bauernfamilien gekommen?
LP: Jeder hat bei Bauern gewohnt, und das war Hachschara…Vorbereitung.
LSY: Und das waren jüdische Bauern?
LP: Jüdische Bauern in Dänemark? [Beide lachen.] Nein, sowas hat es nicht gegeben. Es waren Juden in Dänemark, in Kopenhagen, aber…ich kann mich erinnern, wie ich zu meinen Bauern gekommen bin, haben wir zum Nachtmahl etwas gegessen. Ich habe gewusst, was es ist, aber nachher hat sie zu mir gesagt: „Weißt du, was du gegessen hast?“ Und ich habe gesagt: „Ja, Blutwurst.“ – „Ich habe dir das gegeben, weil ich weiß, dass Juden kein Schweinefleisch essen. Aber das haben wir, und etwas anderes haben wir nicht.“ Und sie hat geglaubt, ich werde unglücklich sein, aber ich war nicht unglücklich, denn wir haben in Wien auch Schweinefleisch gegessen.
LSY: Und konntest du davor Dänisch?
LP: Dänisch ist Deutsch und Englisch sehr ähnlich, und das kann man bald verstehen. Ich habe nicht sehr viel…ich bin für Sprachen nicht sehr…aber Dänisch, das war wirklich leicht.
1/00:20:01
LSY: Und wie hast du dich dann eingelebt dort bei den Bauern?
LP: Wie das war? Meine ersten Bauern…wir sind als „Pflegekinder“ hingekommen, aber die Dänen…ihre Kinder haben auch bei ihnen gearbeitet, oder man hat sie weggeschickt. Es war klar, dass wir arbeiten müssen, aber es war nicht klar, wenn man kommt, dass man gleich die Dienstmädchen wegschickt. Die haben sofort das Dienstmädchen weggeschickt. Das durften sie nicht. Und ich war anstelle des Dienstmädchens. Und ich habe mich riesig bemüht, aber ich konnte ihr nichts recht machen, dieser Frau. Ich wart dort sehr weit weg von den anderen Kindern und konnte sie nur sehr selten treffen. Und dann hat man mich woanders hinversetzt, wo ich die Kinder mit dem Fahrrad erreichen konnte. Dort habe ich mich viel besser gefühlt.
LSY: Das war wichtig, wenigstens den Kontakt zu der Gruppe zu halten?
LP: Ja, zu den anderen Kindern…ich war so fremd, alles war fremd. Es war kalt in Dänemark, und die Sprache war fremd, und…es war mir sehr wichtig, die anderen Kinder zu sehen.
LSY: Hattest du denn noch Kontakt mit deinem Vater in Frankreich?
LP: Mein Vater war in Frankreich, und erst viel später habe ich einmal durch das Rote Kreuz eine Postkarte von ihm bekommen. Das war viel später. Und dann haben wir uns geschrieben, durch das Rote Kreuz.
LSY: Und mit deinem Bruder?
LP: Mit meinem Bruder habe ich keinen Kontakt gehabt, aber mein Vater hat meinem Bruder eine Adresse in der Schweiz gegeben, und er hat in die Schweiz geschrieben, und mein Vater hat es von der Schweiz bekommen. Also er wusste von meinem Bruder.
LSY: Wie lange warst du in Dänemark?
LP: In Dänemark war ich eineinhalb Jahre.
LSY: Bei der zweiten Bauernfamilie bist du geblieben?
LP: Bei den ersten Bauern war ich nur ein paar Monate, und dann bin ich zu anderen Bauern gekommen, bei denen ich mich viel besser gefühlt habe. Das waren Leute in dem Alter…die waren nicht mehr so jung wie diese. Die haben zwei kleine Kinder gehabt.
LSY: Und da bist du geblieben, bis ihr Dänemark verlassen habt?
LP: Die Deutschen waren in Dänemark, und dann durfte man nicht mehr in Jütland sein. Das war zu nahe an England, und dann hat man uns woanders hinversetzt. Aber ich war fast die ganze Zeit mit diesen netten Bauern. Wenn ich an Dänemark denke, dann denke ich an diese Bauern. Und dann sind wir nach Israel gekommen.
LSY: War das von Anfang an auch geplant, dass ihr in Dänemark nur eine kurze Zeit bleibt und dann--
LP: --das war Hachschara. Das war nicht…und die Bauern mussten sogar versprechen, dass sie nicht versuchen werden, uns zum Christentum zu bekehren. Denn das waren fromme Leute, und die hätten das gern gemacht.
LSY: Wann seid ihr dann weiter nach Israel?
LP: Ende [19]39…nein, Ende [19]39 bin ich nach Dänemark, und Anfang März [19]41 sind wir nach Israel gefahren. Und das war zwei Wochen, bevor Russland in den Krieg eingetreten ist.
LSY: Ja, das war ja mitten im Krieg.
LP: Ja, aber wir sind durch Russland gefahren, in plombierten Zügen.
LSY: Die Gruppe, die angekommen ist, aus Wien--
LP: --wir waren eine Gruppe von zwanzig. Und wieso ich gerade und ein paar Freunde…das weiß ich nicht. Aber…ich weiß es nicht.
LSY: Aber diese zwanzig sind dann zusammen nach Israel?
LP: Ja.
LSY: Wie seid ihr gefahren, kannst du dich noch erinnern?
LP: Die Reise hat siebzehn Tage gedauert. Auf dem Landweg sind wir gefahren, von Dänemark nach Schweden, Finnland, Russland, Türkei…durch das Meer…Türkei, Syrien, Libanon und durch Rosch haNikra, Ra’s an-Nāqūra, nach Israel.
LSY: Kannst du dich noch an die Ankunft in Israel erinnern?
LP: Wie das war? Wie wir nach Ra’s an-Nāqūra gekommen sind, hat jeder irgendsoeine weiße Bluse oder ein weißes Hemd gehabt. Und wir haben das angezogen und haben Hora getanzt. [Lacht.] Und von dort oben, in Ra’s an-Nāqūra, hat man die ganze Küste gesehen. Wir haben Israel gesehen, und wir haben gedacht, das ist schrecklich klein. [Lacht.]
1/00:25:20
LSY: Hattet ihr andere Vorstellungen im Kopf gehabt?
LP: Wir haben gar keine Vorstellung gehabt, aber wir haben gewusst, dass es das Paradies ist. Und so haben wir uns das Paradies nicht vorgestellt.
LSY: Und dann seid ihr erstmal dortgeblieben?
LP: Nein, wir sind zuerst ins Bet Holim in Haifa, und dort haben wir alle möglichen Injektionen bekommen und Sachen…Impfungen. Und ich war zwei Tage schrecklich krank davon, und dann sind wir nach Ben Shemen gekommen.
LSY: Was habt ihr in Ben Shemen gemacht?
LP: Ben Shemen ist eine boarding school, und dort haben wir gewohnt und vier Stunden gearbeitet und vier Stunden gelernt.
LSY: Und da hast du dann eigentlich erst Hebräisch gelernt?
LP: Auch Hebräisch haben wir dort gelernt. Wir haben einen sehr guten Lehrer gehabt, und wir haben sehr schnell Hebräisch gelernt.
LSY: Und warst du noch mit dieser Gruppe von zwanzig zusammen?
LP: Ja, ich war mit ein paar von dieser Gruppe zusammen.
LSY: Hast du deinen Bruder dann hier wiedergetroffen?
LP: Mein Bruder ist nach Ben Shemen gekommen, und wir wollten beide zusammen sein, aber man hat es uns nicht erlaubt. Sie haben gesagt, mein Bruder konnte nicht…ich wollte, dass er nach Ben Shemen kommt und dort vielleicht arbeitet oder etwas, und sie haben gesagt, sie haben keinen Arbeitsplatz für ihn. Und ich wollte zu ihm, und da haben sie gesagt: „Das kannst du nicht, weil dann verlierst du deine Rechte in der Jugend-Alija. Und das ist schade, denn dort kannst du nicht lernen. Lernen kannst du hier.“ Und dann waren wir nicht zusammen.
LSY: Wusste dein Bruder davor schon von dem Tod der Mutter, oder hat er das erst von dir erfahren?
LP: Nein, er hat das gewusst. Ich habe ihm von Wien aus geschrieben. Er hat das gewusst.
LSY: Hattet ihr dann mit dem Vater noch Kontakt, als du schon hier warst?
LP: Mit dem Vater? Nein, wir haben den Kontakt verloren.
LSY: Habt ihr ihn später nach dem Krieg getroffen?
LP: Mein Vater war vorher in Paris, und dann ist er von Paris weg, nach Süden. Wie die Deutschen nach Frankreich gekommen sind, ist mein Vater nach Süden geflüchtet. Und in Dänemark habe ich noch Kontakt gehabt, aber danach habe ich den Kontakt verloren.
LSY: Habt ihr ihn nach dem Krieg wiedergefunden?
LP: Nach dem Krieg haben wir vom Roten Kreuz plötzlich einen Brief bekommen, dass mein Vater da ist, und dann haben wir wieder den Kontakt aufgenommen.
LSY: Ist er später dann nach Israel gekommen?
LP: Mein Vater ist nur zu Besuch hergekommen. Er wollte, dass wir zu ihm kommen, aber wir haben gesagt, wir bleiben in Israel.
LSY: Ihr wolltet nicht nach Frankreich?
LP: Nein. Wir haben gesagt: „Wir sind in Israel. Wir gehören hierher.“
LSY: Nach der boarding school in Ben Shemen, was ist dann passiert?
LP: Nach Ben Shemen, nach der Jugend-Alija, sind wir als Gruppe auf Hachschara in einen anderen Kibbuz geschickt worden, und dort haben wir geholfen. Wir haben gearbeitet und geholfen.
LSY: Das war vor dem Unabhängigkeitskrieg [19]48?
LP: Das war vor dem Krieg, ja.
LSY: Was hast du noch für Erinnerungen an den Unabhängigkeitskrieg [19]48?
LP: An den Krieg? Erst waren wir in einem Kibbuz, und dann sind wir auf Hachschara gegangen, und…der Krieg war noch lange nicht.
1/00:30:08
Ich habe gezeichnet, und in Ben Shemen wollte man mich nach Jerusalem in die Bezalel Schule [Bezalel Academy of Arts and Design] schicken, aber ich habe gedacht, ich muss auf Hachschara gehen und muss einen Kibbuz gründen…und vielleicht später. Und ich bin mit meinen Freunden zusammen auf Hachschara gegangen. Und…ask me.
LSY: Als dann der Krieg [19]48 war, warst du in der Haganah?
LP: Ja, war ich natürlich, ich war in der Haganah. Und wir haben auch alles Mögliche gelernt, schießen sogar. Und wir haben Übungen gemacht…alles Mögliche.
LSY: Kannst du dich noch daran erinnern, was damals dein Gefühl war, als der Krieg angefangen hat? Hatte man Angst, dass man verliert, oder war man optimistisch?
LP: Erstens, wie wir nach Israel gekommen sind, haben wir gewusst, dass die Araber nicht sehr freundlich zu uns sind. Aber das war so…aber in Ben Shemen haben wir gesehen, dass man sich gegen Araber schützt. Man hat alle möglichen Vorbereitungen getroffen im Fall, dass…und von Ben Shemen auf Hachschara sind wir dann in einen Kibbuz gekommen, der neben Nazareth war. Ein ziemlich einsamer Kibbuz, aber die Araber haben uns dort in Ruhe gelassen.
LSY: Im Krieg [19]48, hattest du Angst, dass ihr den Krieg verlieren werdet?
LP: Ich weiß nicht…dieser Begriff Angst, den habe ich damals gar nicht gekannt…Sorge vielleicht, aber nicht Angst. Wie der Krieg begonnen hat, haben wir schon den Kibbuz gehabt, aber ich habe den Kibbuz früher verlassen. Ich habe geheiratet und habe den Kibbuz verlassen. Der Bursche, den ich geheiratet habe, der hat Eltern gehabt, hier in Israel, und die waren am Land, und sie wollten, dass wir ihnen helfen. Wir sind dorthin gekommen und haben ihnen dort geholfen, am Land. Aber das war kein Kibbuz, das war ein Dorf.
LSY: Wie hast du deinen Mann kennengelernt?
LP: Im Kibbuz. Er war im Kibbuz.
LSY: Er war auch aus Österreich?
LP: Nein, er war aus Prag, aus der Tschechoslowakei. Unsere Gruppe war aus Mitteleuropa.
LSY: Habt ihr miteinander hebräisch oder deutsch gesprochen?
LP: Nein, wir haben sehr bald, wie wir gekommen sind…haben wir gleich gesagt, wir müssen hebräisch sprechen, sonst hören wir überhaupt nie auf, deutsch zu sprechen. Wir haben nur hebräisch gesprochen.
LSY: Auch mit den ganzen Freunden--
LP: --alle…nur hebräisch. Deutsch war weg…sogar keine deutschen Bücher gelesen.
LSY: Dann seid ihr zu den Eltern von deinem Mann gezogen?
LP: Ja. Und das war nicht sehr gelungen.
LSY: Nein?
LP: Nein. [Lacht.]
LSY: Mit den Schwiegereltern zusammen--
LP: --das war nicht gut. Aber ich war so unschuldig, ich habe überhaupt…Schwiegereltern, das hat mir gar nichts gesagt. In Wien habe ich überhaupt von solchen Problemen nie ein Wort gehört und nie etwas gewusst, aber dort habe ich das gelernt. [Lacht.]
LSY: Seid ihr dann bald woanders hingezogen?
LP: Mein Mann wurde zum Militär gerufen. Damals ist der Staat Israel erklärt worden, und es war ein Militär, und er wurde zum Militär…und ich wollte…ich habe schon eine kleine Tochter gehabt, und wollte nicht allein bei den Eltern bleiben. Ich bin mit meiner Tochter zu meinem Bruder in den Kibbuz.
1/00:34:44
[Übergang/Schnitt.]
LSY: Welcher Kibbuz war das?
LP: Das war [unklar]. Das war in der Nähe von Haifa. Und mein Mann war zufällig neben Haifa stationiert und konnte oft nach [unklar] kommen.
LSY: Bist du dann jemals noch nach Bezalel, nach Jerusalem, um dort zu lernen?
LP: Das war, glaube ich, mein größter Fehler, dass ich nicht gleich lernen gegangen bin, aber ich habe…das Leben war so interessant und so neu…ich habe gar nicht dran gedacht. Und…in Dänemark habe ich nicht gezeichnet. In Ben Shemen habe ich wieder angefangen, aber im Kibbuz habe ich später gezeichnet.
LSY: Im Kibbuz seid ihr dann geblieben?
LP: Nein. Ich…wie war das? Ich war im Kibbuz von meinem Bruder und…nein, wir wollten nicht mehr in den Kibbuz. Man hat Häuser gebaut, und wir haben uns eingeschrieben für ein Haus. Wir wollten…das war neben Netanja, und dort hat man einen Schikun…das heißt eine Siedlung gebaut. Und dort haben wir uns eingeschrieben.
LSY: Dann hast du in Netanja gewohnt?
LP: Ja, bei Netanja.
LSY: Seit wann bist du in Ramat HaSharon?
LP: Viel später…viele Jahre später. Von Netanja…mein Mann war nachher im Militär, bei der Luftwaffe, aber technisch…er war kein Flieger. Und dann sind wir in die Nähe von einem Flugplatz…in Gedera haben wir gewohnt. Wir haben gespart für dieses Haus bei Netanja, und erst fünfzehn Jahre, nachdem wir verheiratet waren, sind wir in dieses Haus eingezogen. Wir haben schon zwei Kinder gehabt.
LSY: Und als was hast du gearbeitet?
LP: Ich habe die zwei Kinder gehabt und konnte nicht, aber im Moment, wo sie größer waren, habe ich auch gearbeitet. Aber ich habe eigentlich keinen Beruf gehabt. Aber ich habe einen Kurs für Grafik gemacht und habe, wie ich den beendet habe…den habe ich gut beendet…und habe freelance gemacht. Ich musste Arbeit suchen, und ich war nicht sehr geschickt im Arbeit-Suchen. Ich habe gesehen…entweder ich sitze auf meinem Hintern und arbeite, oder ich gehe Arbeit suchen, aber beides zusammen konnte ich nicht. Also habe ich irgendetwas gesucht, was sicherer ist, und dann bin ich in das landwirtschaftliche Ministerium gekommen. Dort hat man eine Abteilung für audio-visual-Sachen gehabt. Und dort bin ich hingekommen und habe dort als Grafikerin gearbeitet.
LSY: Das Zeichnen dann doch noch--
LP: --was man dort gemacht hat? Ich habe hier etwas…
1/00:38:43
[Übergang/Schnitt.]
[Lea Peled zeigt Alben mit Ihren Zeichnungen und grafischen Arbeiten.]
LP: Das waren Lehrer in Ben Shemen. Und wie sie gesehen haben, dass ich zeichne, haben sie mir Papier gegeben, und dann habe ich plötzlich einen Malkasten mit Wasserfarben gehabt. Das waren zwei Mädels in Ben Shemen. Kühe…und das waren Kinder, die mit mir waren.
LSY: Aus der Gruppe?
LP: Ja, denn Fotografien haben wir nicht gehabt…keinen Fotoapparat gehabt.
LSY: Wow, sehr schön.
LP: Das war ein Mädel von uns. Wie wir auf Hachschara in dem anderen Kibbuz waren…das waren members vom Kibbuz. Das waren unsere Freunde.
LSY: Hattest du danach auch noch immer Kontakt mit den Leuten aus der Zeit?
LP: Ja, wir haben immer darauf geschaut. Das war auch einer von dort. Eine Freundin von mir. Das war auch ein Bursche dort. Dieser Bursche war kränklich, und da hat man ihn nicht zur Landarbeit…man hat aus ihm einen Schuster gemacht. Zwei Mädels…Uschi aus Berlin.
LSY: Das war eigentlich wie die neue Familie dann?
LP: Ja, das war die Familie. Deswegen haben wir so zusammengehalten. Wir haben nichts anderes gehabt.
LSY: Viele von denen hatten auch ihre Eltern nicht mehr?
LP: Ja. Das war ein Abend in Ben Shemen. So haben wir den Abend verbracht, mit Musik und Singen.
LSY: Was habt ihr für Lieder gesungen?
LP: Neue hebräische Lieder. Wir hatten kein Radio und natürlich keine Television…das gab es damals noch nicht.
LSY: Aber es war schön, da ist man zusammengesessen--
LP: --ja. Aber wir haben uns nicht gelangweilt. [Beide nehmen ein zweites Album.] Ich habe diesen Kurs für Grafik gemacht. Das war meine Endarbeit. Und das Thema war, etwas für die United States [meint: United Nations.] zu machen. Das war damals neu. Und ich hatte ein Buch von Wendell Willkie, das hat One World geheißen, und das habe ich als Thema genommen. Dafür habe ich diesen Preis bekommen.
LSY: Wow, den ersten Platz.
LP: Ja. Das ist sehr naiv, aber--
LSY: --aber schön.
LP: Das sind…das ist nicht so interessant. Ich war auch in Afrika. Mein Mann wurde nach Afrika geschickt, nach Tansania und Uganda.
LSY: Wie lange habt ihr dort gelebt?
LP: Zwei Jahre. Und ich konnte dort auch etwas machen.
LSY: Was hast du dort gemacht?
LP: Wir haben dort eine Ausstellung für den Independance Day gemacht. Die haben gesehen, dass ich zeichne, und da haben sie mich gebeten, und dann habe ich die Ausstellung gemacht.
LSY: Wo habt ihr gewohnt? In Kampala, in Uganda?
LP: Nein, in Uganda haben wir in Entebbe gewohnt.
LSY: Ich habe auch vier Jahre lang in Uganda gelebt.
LP: Ja? Du warst in Uganda? Wo?
LSY: In Kampala haben wir gelebt.
LP: In Kampala. Wann?
LSY: Von 1994 bis [19]98.
LP: Ach, das war schon ganz anders. Das habe ich…hat mir eine Nachbarin gegeben, wie wir…eine Nacht soll ich dort schlafen im…nicht WIZO [Women’s International Zionist Organisation], von den Frauen. Sie hat gesagt, dort ist es sauber und billig. Dann habe ich eine Nacht dort geschlafen.
LSY: Die Kinder waren auch mit in Afrika?
LP: Meine Tochter war schon im Gymnasium, und sie hat gesagt, sie will die Matura machen, und war hier, bei Freunden und hat uns besucht. Mein Sohn war mit uns. Da sind wir zurückgekommen. [Lacht.]
1/00:44:04
[Übergang/Schnitt.]
LSY: Bist du auch mal zu Besuch nach Österreich gefahren?
LP: Erstens habe ich kein Geld gehabt, aber wie ich einmal bei meinem Vater in Paris war…er hat alles bezahlt…hat er mich gefragt, ob ich nach Wien will, aber ich wollte nicht. Nein! Aber später musste ich nach Wien fahren. Nicht weil ich mich so gesehnt habe, sondern weil ich wissen musste, dass das alles wirklich war und dass ich das alles nicht nur geträumt hatte. Mein Leben war so wie…vorher und nachher. Und es war keine Verbindung…ich war wie zerrissen, und ich musste unbedingt hinfahren und sehen, dass das wirklich war. Und das habe ich gemacht.
LSY: Wann war das?
LP: Das war…wann war das? Meine Kinder waren schon da, und mein Sohn war nicht mehr so klein. Klein hätte ich ihn nicht allein hier gelassen. Es war schon ziemlich spät…viel zu spät.
LSY: Wie war das, wieder in Wien zu sein?
LP: Also, ich bin natürlich auf alle Plätze gelaufen, zu Fuß, wo wir gewohnt haben, die Schule und noch viele andere Plätze. Und ich habe alles gefunden, wie eine Schlafwandlerin. Wir haben damals in Netanja gewohnt, und ich habe herausgefunden, dass sich Netanja in ein paar Jahren viel mehr verändert hat als Wien in diesen paar Jahren. In Wien war alles noch so, wie es war.
LSY: Sind viele Erinnerungen dann wieder zurückgekommen, als du da warst?
LP: Ja. Aber dann habe ich festgestellt, dass ich in Wien nichts mehr zu suchen habe. Es hat mir nicht mehr gefallen.
LSY: Hast du dich nicht wohlgefühlt?
LP: Viel später bin ich nochmal als Touristin sozusagen--
LSY: --da ist etwas zerbrochen?
LP: Ich bin zwar dort geboren, aber…ich habe einen Freund, der sagt: „Ich bin ein Wiener.“ Der fährt jedes Jahr. Aber ich fühle mich nicht so, obwohl ich so erzogen wurde. Ich bin keine Wienerin.
LSY: Was war für dich ganz wichtig, an deine Kinder weiterzugeben? Wie hast du deine Kinder erzogen?
LP: Ich habe absichtlich kein Wort Deutsch mit ihnen gesprochen. Ich wollte nicht, dass jemand sagen kann, dass das ihre Muttersprache ist. Ich habe gesagt: „Ihr seid hier geboren, ihr seid Sabres.“ Und so habe ich sie erzogen.
LSY: Und was war für dich wichtig, ihnen mitzugeben? Was war wichtig für dich, was sie lernen im Leben? Was für Werte?
LP: Ich verstehe das nicht.
LSY: Die Frage ist ein bisschen groß. Welche Werte waren wichtig für dich, dass deine Kinder die lernen? Was wolltest du, dass deine Kinder--
LP: --ich kann mich erinnern, mein Vater war aus Ungarn. Und er hat gut deutsch gesprochen, aber hie und da hat er mal gefragt: „Wie schreibt man das?“ Und ich habe gedacht, jetzt muss ich meine Kinder noch fragen: „Wie schreibt man das?“, wenn von Hebräisch die Rede ist. Aber ich will, dass meine Kinder nicht mehr jemanden fragen müssen: „Wie schreibt man das?“ Das war mein--
LSY: --und, dass sie sich richtig zugehörig hier fühlen?
LP: Ja.
LSY: Warst du jemals in Wien, als der Jewish Welcome Service Leute eingeladen hat? Es gab mal eine Zeit, da hat der Jewish Welcome Service ehemalige Wiener eingeladen.
LP: Nein, ich wollte nicht.
LSY: Zweimal und das war es?
LP: Ja. Ich war einmal dort. Ich habe gesehen, dass es…genug. Ich habe keine Sentimente für Wien.
LSY: Was waren für dich die wichtigsten Erlebnisse hier in Israel?
LP: In Israel, das wichtigste Erlebnis? Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, das wichtigste war, dass ich überhaupt hergekommen bin.
LSY: Da bist du sehr dankbar dafür?
LP: Ja. Und in Ben Shemen…alles war neu, und alles war anders, es war sehr interessant.
LSY: Hast du dich relativ schnell zu Hause gefühlt in Israel?
LP: Ich habe gewusst, dass das mein Zuhause ist. Ein anderes hatte ich nicht.
LSY: תודה רבה! [Danke sehr!]
1/00:50:04
[Ende des Interviews.]