Alicia Latzer

Alicia Latzer wurde 1928 in Güssing im Burgenland geboren. Nach dem ‚Anschluss‘ 1938 musste sie die Schule verlassen und die Familie zog nach Wien. Mit gefälschten Papieren gelang es der Familie im September 1938 über Triest nach Argentinien zu flüchten. Aufgrund der finanziellen Situation musste Latzer, von ihren Eltern und ihrer Schwester getrennt, einige Zeit in einem Waisenhaus leben. Später unternahm Latzer mehrere Reisen in die USA und entschloss sich dafür, 1962 zu emigrieren. In den USA war sie zunächst in der Kosmetikindustrie und später in der Tourismusbranche tätig. Zum Zeitpunkt des Interviews lebte Latzer in New York City.

Vollständiges Interview

Teil 1
Teil 2
Art des Interviews:
Audio
Ort des Interviews:
New York City, USA
Sprache(n) des Interviews:
Deutsch
InterviewerIn:
Emilia Lichtenwagner
Interviewdauer:
02:13:50
Bestand:
LBI New York
Sitzungsanzahl:
1
Datum des Interviews:
22. September 2009
Alicia Latzer
Geburtsdatum:
11. Juni 1928
Geburtsort:
Güssing, Österreich
Fluchtroute
1938 Güssing, Deutsches Reich
1938 Wien, Deutsches Reich
1938 Triest, Italien
1938 Buenos Aires, Argentinien
Lebensstationen
Hier sind in chronologischer Reihenfolge Orte erfasst, an denen sich die interviewte Person im Laufe ihres Lebens aufgehalten hat.
Güssing, Österreich
Buenos Aires, Argentinien
New York City, USA
Ausbildung
bis 1938
Pflichtschule
Volksschule
Güssing, Österreich
Pflichtschule
Volksschule
Argentinien
höhere Schule
Instituto Cultural Argentino Norteamericano
Maipú 672, C1006ACH CABA
Buenos Aires, Argentinien
Beruf/Beschäftigung

in chronologischer Reihenfolge

Babysitterin
Erziehung, Bildung
Argentinien
Angestellte
Textil, Mode, Leder
Argentinien
Verkäuferin
Haar-, Körper- und Schönheitspflege
USA
New York City
Managerin
Haar-, Körper- und Schönheitspflege
USA
New York City
Tour Guide
Reise, Freizeit, Sport
USA
New York City
Angestellte
Reise, Freizeit, Sport
USA
New York City
„Spricht über“ sind besonders interessante Passagen in den Interviews, die von der Redaktion des Austrian Heritage Archive zusammengestellt wurden.
Erinnerungen an die Zeit nach dem ,Anschluss’ 1938 im Burgenland
Flucht nach Argentinien mit gefälschten Papieren
Kinderarbeit, Gewalt und Vernachlässigung in einem Waisenhaus in Argentinien
Erste Reise und spätere Emigration in die USA
Karriere im Kosmetikgeschäft
Karriere in der aufstrebenden Tourismusbranche
Besuche in Österreich nach 1945
Entschädigungszahlungen der Republik Österreich
Restitution von Gemälden aus dem Familienbesitz

Teil 1

EL: This is an Austrian Heritage Collection interview with Alicia Latzer, conducted by Emilia Lichtenwagner on 22 September, 2009.

AL: Sollen wir auf Englisch sprechen?

EL: Nein, wie Sie wollen. Wir haben vorher auf Deutsch geredet.

AL: Ja, also…meine Erinnerungen von meiner Kindheit, bis ich neun Jahre alt war und bis die Deutschen gekommen sind, habe ich keinen Antisemitismus gekannt. Ich war ein Kind wie alle anderen. Ich war ein sehr frohes Kind. Ich wurde ziemlich verwöhnt, weil ich…man hat mir gesagt, ich wäre sehr sympathisch gewesen als Kind. Das hat sich inzwischen geändert. Auf jeden Fall war ich immer sehr neugierig. Ich musste alles sehen und alles wissen. So bin ich schon mit fünf Jahren rumgewandert, alleine, um mir etwas anzusehen, weil jemand hat gesagt, er hat…ah ja, dass die Zigeuner da waren, irgendwo, und ich hatte noch keine Zigeuner gesehen. Und da bin ich gegangen, und am Ende des Dorfes hatte eine Frau ein Haus, eine Familie, und die hat mich gesehen. Da sagt sie: „Wo gehst du hin?“ Ich sagte: „Ich gehe mir die Zigeuner anschauen.“ – „Du wirst sofort wieder hierherkommen. Weiß das deine Mutti?“ Da sagte ich: „Nein, ich habe vergessen.“ Also auf jeden Fall hat sie mich nicht gehen lassen, und ich war vielleicht nicht sehr angenehm, und dann durfte ich für drei Tage überhaupt nicht mehr rausgehen. Aber ich meine, ich habe eine sehr frohe Kindheit gehabt. Dann habe ich mir einen Pfau angeschaut, der war…in Tobaj, ein Dorf – das weiß ich – in der Nähe von Güssing. Da bin ich…da war ich sechs Jahre alt, meine Freundin war acht, und ihr Bruder war drei. Und wir haben uns den Pfau angesehen, und auf der Rückkehr wurden wir müde, sind an der Straße gesessen, und zufällig fährt ein Cousin von meinem Papa mit seinem eleganten Auto vorbei und sieht uns sitzen und hält natürlich sofort: „Was machst du hier?“ – „Ich habe mir einen Pfau angesehen, und jetzt sollen wir weggehen.“ Der Kleine hat geweint. Da sagt er: „Geh’ in das Auto rein, sofort!“ Er hat mich nach Hause gebracht, und eine ganze Woche durfte ich auch nicht rausgehen. Aber ich meine, es war eine sehr freie, schöne Kindheit. Und auch wusste ich nicht, dass wir reicher waren als andere, weil meine Mutter hat uns die Bally-Schuhe bestellt. Und die Kinder, die armen Kinder, die haben diese Herrgottsbotschen gehabt. Das waren…die Sohle war von einem alten Rad, von einem Gummirad, gemacht…die Sohle…und dann mit so Lederstreifen einfach im Kreuz gemacht…also die Herrgottsbotschen. Und die haben die armen Kinder getragen. Jetzt habe ich mit denen getauscht, die Bally-Schuhe für die Herrgottsbotschen. Meine Mutter war entsetzt, ich muss mir die Schuhe wieder zurückholen. Die wurden speziell bestellt, aus Wien. Ja, ich meine, ich war kein schlimmes Kind, aber solche Sachen habe ich gemacht.

Dann, wie die Deutschen kamen, und ich als einzige Jüdin in der Schule war, was mir auch nicht bewusst war…und ich war einen Kopf größer wie alle anderen Kinder. Und die wollten uns fotografieren…die jüdischen Kinder fotografieren für den Stürmer. Aber die ganzen, die ich gekannt habe, die waren wunderschöne, blonde Kinder, die gar nicht so ausgesehen haben. So konnten sie das Foto nicht gebrauchen, Gott sei Dank. Ja, und da hat mich der neue Lehrer…wir hatten einen neuen Lehrer. Die Nazis sind gekommen im März, und sofort hatten wir neue Lehrer. Und der hat gesagt, dass ich das example der arischen Rasse wäre. Worauf dann jemand ihm gleich gesagt hat: „Das ist das einzige jüdische Kind in der ganzen Schule.“ Und dann in der Pause hat er gesagt, alle Juden sollen vortreten. So bin ich vorgetreten. Und alle Kinder mussten das Horst-Wessel-Lied [meint: eine antisemitische Variante des Heckerliedes] singen. – „Und wenn’s Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s nochmal so gut“. Und da habe ich angefangen, zu weinen. Und da wusste ich, meine Kindheit war zu Ende.

 

1/00:05:37

 

Man sagt, Kinder verstehen nicht, aber irgendwie habe ich sehr schnell angefangen, zu verstehen. Und dann natürlich hatten wir noch Glück, weil mein Vater hat eine Position gehabt…dann später, von all diesen Historikern, die über mich geschrieben haben, hat eine herausgefunden, dass meine Familie so gegen 1642 nach Güssing gekommen ist und seitdem in Güssing eben die Latzers existieren. Die hießen früher Lazar. Und so waren wir eine…die Familie, wir haben einfach dazugehört. Ich meine, mein Vater, die Freunde waren…da weiß ich, der Graf Batthyány und der Drašković, die großen Grundbesitzer in der Gegend waren…noch von den kaiserlichen Zeiten her. Und die haben uns geschützt, soviel sie konnten. Das heißt, mein Vater wurde nicht eingesperrt, niemand von uns wurde geschlagen oder angerührt in Güssing. Aber natürlich war der Nazismus sehr groß, und so kam der Moment, wo die uns nicht mehr schützen konnten, weil die anderen Familien schon…die hat man bei Nacht und Nebel an die ungarische Grenze geschickt, die ja nur fünfzehn Kilometer entfernt war, und wo man gefunden hat Koffer und Sachen, was sie dagelassen haben, was sie nicht mehr tragen konnten. Und wir wissen nicht, was mit diesen Leuten passiert ist. Da haben sie meinem Vater geraten, die Freunde, wir sollen weg. Dann und dann werden sie einen Lastwagen da haben und mit dem, was wir noch haben…denn, ich meine, es wurde ja alles konfisziert, wie die Deutschen kamen. So wie, sagen wir, die Tür war, und da war das Schloss von dem Kasten…wurde es versiegelt. Wir konnten nichts mehr rausnehmen. Wir hatten nur noch das, was wir im täglichen Gebrauch hatten. Und das haben wir gepackt und genommen und sind bei Nacht und Nebel nach Wien gefahren. Denn Wien war nicht so betroffen, es war die Hauptstadt, und außerdem hat irgendjemand von den Nazis sich vorgenommen, das Burgenland so schnell wie möglich judenfrei zu machen. Ich habe gelesen irgendwo, ich weiß nicht, ob es in einem Buch oder einer Zeitung war, dass sie melden…das war im Juni von demselben Jahr…von [19]38…dass sie irgendwie…ich weiß nicht, wie sie sich ausgedrückt haben…dass sie mit Freude melden, dass jetzt im Juni [meint: November 1938] das Burgenland judenfrei wäre. Also muss es kurz vorher gewesen sein, dass wir nach Wien gekommen sind.

In Wien hatte mein Vater zwei Schwestern. Wir haben unsere Großeltern vorgeschickt. Mein Großvater, er hat noch fest gearbeitet, er war über 80 Jahre alt, und dass er nicht in sein Geschäft gehen konnte, das konnte er nicht verstehen. Und so waren wir eingepfercht in der kleinen Wohnung…also, die nicht sehr groß war, von meiner Tante, aber wir haben ein Zuhause gehabt. Und dann habe ich eine andere…diese Tante war geschieden. Und mein Cousin hat bei uns immer die Ferien verbracht und war wie ein älterer Bruder. Der war damals achtzehn Jahre alt, und den wollte man zum Arbeitsdienst nehmen. Und wir haben ja nur das Geld gehabt, was so in der Kasse war. Wir hatten 60…mit 60 Dollar sind wir nach Argentinien gekommen, also das ganze Geld, was er gehabt hat, hat er ausgegeben, dass dieser Junge…der irgendwas Großes in den Pfadfindern war, den internationalen Pfadfindern. Und die haben…das wurde organisiert von England, dass er in die Tschechei gekommen ist und von dort dann nach England. Und meine Tante – seine Mutter –, die kam auch nach England, aber zwei Jahre wussten sie nicht, wo sie waren. Sie wussten nicht, dass sie beide in einem Land gelandet sind.

 

1/00:10:31

 

So habe ich auch viele Erinnerungen mit meinem Cousin, der leider nicht mehr lebt, der in England gestorben ist. Und ich kann mich erinnern, in Wien, wurde ab und zu…mein Großvater ging jeden Tag in einen Park spazieren, und eines Tages kommt er sofort zurück. Ich habe meinen Großvater geliebt. Und da hat er gesagt: „Jetzt hat man mir alles genommen.“ Denn auf der Bank, wo er gesessen ist, ist gestanden: „Nicht für Juden.“ Und das hat mich wahnsinnig angegriffen. Wir haben Angst gehabt, weil mein Vater ein Oberleutnant war, dass man ihn festnimmt oder irgendetwas passiert. Meine Mutter hat Angst gehabt, dass jemand ausgeht, überhaupt. Und so bin ich gegangen zum Einkaufen. Und ich habe richtig…ich war eine kleine Schauspielerin. Die haben mich gleich gefragt: „Warst du schon beim Bund Deutscher Mädchen [meint: Mädel]?“ – „Ja“, sagte ich, „ich habe mich sofort gemeldet.“ Weißt du, ich wusste, wann ich lügen sollte, denn ich musste ja…dort habe ich Aufschnitt gekauft und Brot und alle möglichen Sachen. So war ich die offizielle Einkäuferin. So wurde ich auch schon selbstständig, da war ich schon zehn Jahre, denn im Juni wurde ich zehn Jahre. Und mein anderer Onkel, der keine Kinder hatte und der ein sehr elegantes Geschäft gehabt hat, am Graben, für ganz feine Stoffe – nur reine Seide, die besten Sachen –, war sehr bekannt, und er ist einkaufen gefahren ein paarmal im Jahr, nach London und Paris. – „Wieso kann euch das passieren?“, sagt er zu meinem Vater, „du hast sicher etwas verbrochen.“ Da sagt er: „Arnold, du kennst mich. Was soll ich verbrochen haben? Ich bin ja nicht alleine da. Alle! Da ist niemand mehr in Güssing! Und hier wird es auch herkommen, denn das kommt überallhin. Du siehst, jetzt steht schon an den Bänken geschrieben: ‚Nicht für Juden‘, und das nicht für Juden und das nicht. Es ist nicht sicher!“

Wir wollten nach Amerika fahren, aber die weit Verwandte, die Affidavits von jemandem bekommen hat, ein Cousin von meinem Großvater, der wurde, wie die Unions, also die Gewerkschaften, gegründet wurden, in Amerika…war der schon in Amerika, weil er als junger Siebzehnjähriger weg ist, weil er Schulden gehabt hat fürs Kartenspielen. Da hat er Angst gehabt, nach Hause zu gehen, und ist nach Amerika gefahren. Und der war sehr sozial, und der hat die erste Gewerkschaft von den Arbeitern, die in Hotels und Restaurants arbeiten usw., gemacht. Also der Mann wurde sehr reich. Er hat natürlich ein großes Gehalt gehabt, hat zu Lebzeiten sein ganzes Geld ausgegeben und hat einfach nach Europa geschickt zu einer von den Cousinen von meinem Großvater, was weiß ich, 70 Affidavits. Und die hat sie angefangen auszugeben. Die war natürlich ein Mistviech…entschuldige.

EL: Macht nichts.

AL: Denn sie hat uns angeboten drei Affidavits, mit meiner Schwester waren wir vier. Da sagt sie…die hat zufällig auch Lisl geheißen. Da sagt sie: „Lisl, wen soll ich dalassen? Soll ich dableiben? Soll mein Mann dableiben? Soll ich eines der Kinder aufgeben? Wie kannst du uns nicht genug reserviert haben, dass wir zu viert…dass wir nicht auseinandergerissen werden.“ Also sie hat das nicht getan, und meine Mutter hat das von da an vorangetrieben, irgendwo hinzufahren. Und dann diese Geschichte, die habe ich bestimmt schon…weil ich muss manchmal vorgreifen, weil dann war das ein Resultat nachher. In den [19]30er-Jahren war ja die Depression überall, auf der ganzen Welt. Und die Verkäufer, von denen mein Großvater gekauft hat, und mein Vater, die kamen, ich weiß nicht, alle vierzehn Tage oder alle vier Wochen mit dem Auto von Wien, um was immer sie verkauften an meinen Großvater zu verkaufen. Und meine Mutter, die hat sich gelangweilt. Ich meine, sie hat alles…meine Mutter, die hat nichts gemacht. Sie hat Mädels gehabt, die sauber machen, eine Köchin und Kindermädchen, alles. Und es war ihr langweilig, sie war ja noch jung und ist ins Geschäft gekommen. Dort war immer Leben, und es sind immer Leute gekommen. Sie sieht, das war im Winter, dass dieser Mann im Auto sitzt. Und da ist sie rausgegangen und sagt: „Wer sind Sie?“ – „Ja, ich bin der Chauffeur von Herrn Feigelstock.“ Da sagt sie: „Aber kommen Sie doch herein, Sie werden ja hier erfrieren. Kommen Sie rein! Ich lasse Ihnen eine Jause machen.“ Immer war Essen da. Zu Mittag waren wir nie alleine. Vielleicht am Wochenende, aber sonst sind immer Leute gekommen, und dann hat man gleich gesagt: „Komm’, bleiben Sie zum Mittagessen“, je nachdem wann sie gekommen sind.

 

1/00:16:16

 

Und sie hat sich mit dem unterhalten, und er war eigentlich von Beruf ein Ingenieur, konnte aber keine Arbeit finden und hat die Arbeit angenommen als Chauffeur. Meine Mutter fand ihn sehr interessant, weil er von anderen Sachen gesprochen hat, wie man in Güssing gesprochen hat…nicht immer im Kreis rum, von denselben. Und so, jedes Mal, wenn er gekommen ist, hat sie gesagt: „Kommen Sie einfach rein. Sie können immer bei uns etwas essen, Kaffee ist immer da“, usw. Und das ging Jahre lang…einige Jahre. Nun, jetzt sind wir in Wien, und dann hat meine Mutter gehört, dass irgendwo jemand…man muss zwar alles, die Habe, die man noch hat, dalassen, aber man kann nach Argentinien fahren. Da haben natürlich alle geschrien: „Argentinien! Wildnis! Nur Wilde leben da, oder Verbrecher.“ Da sagt meine Mutter: „Mir ganz egal, wir müssen weg. Wir müssen weg! Und dann werden wir schon sehen, aber wir müssen weg.“ Ja, und sie geht, und sie stellt sich in der Reihe an, und sie schaut nicht rechts und nicht links, natürlich todunglücklich. Meine Mutter war damals, ich weiß nicht, 35 Jahre, noch eine junge Frau, relativ. Und auf einmal hört sie ihren Namen: „Frau Latzer, Frau Latzer!“ Und da war es der Mann, der Chauffeur war. Der war ein Obernazi, ist ein Obernazi geworden und hat den Leuten alles, was sie noch hatten, Hab und Gut, abgenommen. Inzwischen hat mein Vater aber schon meinen Cousin…soll ich weitersprechen? Hat er meinem Cousin das Geld gegeben, dass er weggeht. Der war weg, und wir waren mit 60 Dollar da. Und so hat sie gesagt: „Aber wir haben kein Geld. Wir haben nichts mehr, man hat uns alles genommen. Ich habe nichts.“ Und da hat er gesagt: „Ich werde Ihnen besser etwas sagen. Wenn jemand hier rauskommt und nach Argentinien fährt, Sie und Ihre Familie sind die ersten.“ Ich meine, er hat anerkannt, was sie ihm Gutes getan hat. Irgendwie haben alle Menschen auch etwas Gutes an sich, manchmal. Und so sind wir gekommen. Er hat uns die Papier fälschen lassen, als römisch-katholisch, und wir sind nach Triest gefahren…so weiß ich. Ich weiß nicht, wie lang die Reise war, das war bestimmt ein Monat mit dem Schiff. Auf jeden Fall, das war vielleicht im September. Und die…Schiffe waren total überbucht. Man hatte schon das Gefühl, dass ein Krieg kommt, und die Leute sind geflüchtet, wo sie hinkonnten. So, dass in der Kabine, wo meine Mutter, meine Schwester und ich waren…die war für zwei Personen, und ich habe am Boden geschlafen. Und mein Vater, der hat bei einem von den Offizieren geschlafen, vom Schiff. Und so sind wir nach Argentinien gekommen.

Tut mir leid, ich bin eiskalt, können wir einen Moment aufhören?

EL: Okay.

 

1/00:20:07

 

[Übergang/Schnitt.]

 

AL: Meine Eltern waren nicht fürs Leben vorbereitet. Die haben einfach gewusst, dass sie erben werden, dass mein Vater ins Geschäft kommt und das Geschäft hat uns alles. Also das war gang und gäbe. Und wer hat sich sowas überhaupt vorstellen können, dass sowas passiert, wo man da lebt seit Generationen? Auch kann ich mich erinnern an eine von der fünften Kolonne, das waren drei Frauen. Wir haben sie genannt die drei Frauen, Großmutter, Mutter und Kind. Die kamen aus Deutschland schon fünf Jahre vorher…große Nazis, und die war sehr bissig mit mir. Und als sie an einem Tag, wo einfach Leute Sachen aus unserem Haus geschleppt haben…und da hat die neben mir gesagt…das ist das Schlafzimmer von meinen Eltern, das ist aus Mahagoni. Ich wusste nicht einmal, was Mahagoni war. Und da hat sie gesagt: „Du wirst nicht einmal einen Sessel zum Sitzen haben.“ Da habe ich mir vorgenommen – in dem Moment –, ich werde immer einen Sessel zum Sitzen haben, und ich werde immer genug zum Essen haben, und ich werde es schaffen. Das habe ich mir effektiv vorgenommen. Und ich habe es auch durchgeführt, es war nicht leicht, aber ich bin darauf stolz, was ich geworden bin, trotz allem. Ich bin die einzige, die noch übrig ist von meiner Familie. Es sind alle gestorben. Ich weiß gar nicht, wo ich aufgehört habe.

Oh ja, also, dass wir nach Argentinien gekommen sind, und da hat…unser Leid ist noch weiter gegangen. Das war nämlich nicht wie Amerika. Die Möglichkeiten waren nicht dieselben. Mein Vater, der war ein totales Anti-Talent für Sprachen. Das Talent, das ich für Sprachen habe…wir haben Schreckliches mitgemacht am Anfang. Wir hatten nur 60 Dollar, wir waren angewiesen auf soziale Hilfe von jüdischen Vereinigungen, die uns ein Zimmer gemietet, wo wir vier waren…stell dir mal vor…wo der Ofen noch mit Kohle geheizt wurde. Meine Mutter konnte noch nicht kochen. Die hat noch nie, nicht mal Wasser, gekocht. Es war ganz furchtbar. Und wir haben vier Betten bekommen, vier Matratzen und vier Sesseln und einen Tisch…trostlos. Aber inzwischen haben wir von Europa natürlich weniger und weniger bekommen. Der Onkel, der so stolz, dass er nicht nach Argentinien gehen würde, man kann nur in Europa leben…er hat sein Geld gerettet, in der Schweiz und so, aber wie er uns die Nummer geschrieben hat von dem Konto, hat man das herausgeschnitten. Es wurde natürlich kontrolliert, die Briefe, und sie sind natürlich im KZ umgekommen, mit meiner Großmutter.

EL: Das ist der Onkel mit dem Seidengeschäft?

AL: Ja, mit meiner Großmutter. Man kann sich vorstellen, sie war über 70 Jahre alt. Damals ist es mir vorgekommen wie uralt, und die eine richtige Dame des 19. Jahrhunderts war. Und die musste sich nackt ausziehen, und man hat ihr die Haare abgeschnitten und alles. Das muss ja etwas Furchtbares gewesen sein. Wie ich dann mit Kunden in Europa war, ich habe mir nicht das KZ drinnen angesehen. Ich konnte es nicht ansehen. Da haben sie mir gesagt, ich soll es mir ansehen, da habe ich gesagt, ich brauche es nicht sehen. Ja, und mein Großvater, der natürlich sein einziger Sohn…mein Vater, der einen ungarischen Namen hatte, den er nicht mal aussprechen konnte…er war so ein echter Österreicher, er hat immer gesagt: „Aladar.“ Wenn sein Aladar, sein einziger Sohn, nach Argentinien geht, dann will er nicht mehr leben, und hat einen Schlaganfall gehabt. Er ist aber nicht gestorben. Den hat er gehabt, also im…kurz bevor wir weg sind im September. Und dann er gesagt…mich bei den Schultern genommen… [Weint.] Und hat gesagt: „Lisl, schau’ dir deinen Großvater gut an, du wirst ihn nie wieder sehen.“

Mach’ [das Aufnahmegerät] aus!

 

1/00:25:27

 

[Übergang/Schnitt.]

 

EL: Können Sie nochmal von Anfang an die Geschichte erzählen?

AL: Ja, also…von einer Episode, an die ich mich erinnern kann…da war eine Familie Alexander im Ort, die waren alles feine Leute, Rechtsanwälte und wirklich…sehr nette Leute. Und der Herr Alexander war schon über 90 Jahre alt, und da hat der deutsche Nazi, der ein großer Kerl war und grausam, schlecht…und er ist ihm nicht schnell genug gegangen, da hat er ihn gepeitscht. Und ich habe natürlich sowas noch nie in meinem Leben gesehen. Wir haben, glaube ich, nicht mal die Tiere gepeitscht. Und mein Vater hat sich raufstürzen wollen. Wir waren hinter ihm. Wir haben uns angehängt an seinen Mantel und alles, denn in dem Moment, wo er vortritt, erschießt er ihn. Er hat gleich den Revolver gehabt.

Und eine andere Episode, an die ich mich erinnern kann, war, dass…wir haben ja ganz viele Verwandte in Graz gehabt. Und eine Cousine, die war verheiratet mit einem Herrn Birmann, der ist nachher auch nach Argentinien gekommen. Der war hier in der Chemie. Seine ganze Familie waren entweder brillante Architekten, brillante Musiker und so weiter – wirklich eine hoch intelligente Familie. Und ich weiß nicht warum, aber sie hat angerufen, dass sie kommen will, weil…sie wollte uns besuchen. Und man hat ihn gesucht, weil er wahrscheinlich in irgendeiner Sache war, die gegen Nazis war und…einfach verschwunden ist, und nachher hat er seine Frau nachkommen lassen. Und da hat sie angerufen, und mein Vater musste sein Ehrenwort als Offizier geben, dass wenn er kommt, dass er die Behörden verständigen wird. Das heißt, wenn er das nicht tut, dann wird die ganze Familie darunter leiden. Und die sind gekommen eines Abends, mein Vater hat das Tor aufgemacht. Wir sind natürlich immer alle zusammen gegangen, weil wir gedacht haben, es ist besser, es passiert uns etwas zusammen, wie extra. Und er war mit so einem langen Revolver – ich habe noch nie einen Revolver gesehen. Und als Kind hat mich entzückt, er hat in die Toilette reingeschaut, ob er dort wäre. Und ich habe gedacht, wie kann er sowas Blödes tun, er passt doch gar nicht in die Toilette rein. Das Witzige an der Sache, wenn man bedenkt…also auf jeden Fall, mein Vater hat das Ehrenwort gegeben, und am nächsten Tag ruft die Cousine an, sie will uns besuchen kommen. Und man hat die Telefonate belauscht, und so hat Mutti Angst gehabt. Da sagte sie: „Weißt du, ich habe so eine Erkältung und die Kinder auch. Ich will nicht, dass du dich ansteckst.“ Und die andere hat nicht verstanden. Sie hat so lange gesprochen, wie schlecht sie sich fühlt, und sie hat das und jenes und alles, bis eine Stille war und die Cousine kapiert hat, sie soll nicht kommen. Und wie sie das ihrem Mann erzählt hat, der hat natürlich…er wusste seine Tätigkeiten, und die sind sofort aus Güssing weg. Und er ist ziemlich reich geworden in Argentinien. Er hat eine Fabrik gehabt, ist ziemlich reich geworden. Der hat mich ziemlich gern gehabt, hat gesehen, dass ich Ehrgeiz habe, dass ich studieren wollte, dass ich etwas wissen wollte.

Ja, und dann, also nach dem Schiff…wir waren auf dem Schiff, da habe ich meine beste Freundin Doris kennengelernt. Sie ist anderthalb Jahre jünger als ich, und von da ab sind wir ein Herz und eine Seele, und wir sind 71 Jahre lang befreundet. Das können auch nicht viele sagen. Und natürlich, sie sehe ich jedes Mal, wenn ich nach Argentinien komme. Denen geht es ausgezeichnet. Sie hat sehr gut geheiratet, und die sind große Grundbesitzer, und es geht denen sehr gut, Gott sei Dank.

 

1/00:30:03

 

Aber diese Freundin habe ich von der Reise. Dann sind wir nach Argentinien gekommen und das…meine Eltern hatten gar kein Talent, kein Lebenstalent. Sie konnten gar nichts machen. Ich kann es nicht verstehen, denn ich bin jemand, der mir alles selber immer gemacht hat. Weil ich kein Geld hatte, musste ich lernen, Sachen zu machen. Wenn ich einen Saum machen musste, habe ich ihn einfach genäht, ohne dass ich ihn konnte. Ich habe es eben gelernt. Aber meine Mutter sagte: „Das kann ich nicht“, und sie hat geweint. Und der Papa hat gesagt: „Schau’, mach’ du es.“ Zur Renée, meiner Schwester. „Mach’ es, sonst weint sie.“ Und so, natürlich, sind wir in uns gezogen…weil wir haben keine Stütze gehabt. Meine Eltern konnten sich selber nicht stützen…seelisch, alleine. Sie waren nicht fähig dazu, jetzt sehe ich das…wo sie schon alle nicht mehr da sind. Und dadurch habe ich gar keine Kindheit mehr gehabt und keine Jugend, sozusagen. Denn ich habe mich immer verantwortlich gefühlt. Einer muss es machen. Und so, also mein Vater musste…Arbeit finden, irgendetwas, denn wir sind mit 60 Dollar angekommen. Auch damals war das nicht sehr viel Geld. Und so hat diese Cousine durch eine Dame der Gesellschaft…da gab es ein [William C.] Morris-Heim, das war gegründet von einem Amerikaner, das war eigentlich ein Waisenhaus…aber, dass sie uns übernehmen wollten, bis mein Vater eine Arbeit findet und sich ein bisschen etabliert und so. Hier war aber nicht…es war ein Waisenhaus, das ein wunderschönes Gebäude war. Wir haben es mit meinen Eltern besucht, herrlich, sehr schön gebaut, mit schönen Räumen und so weiter. Wir wussten aber nicht…also, wir konnten…meine Eltern durften mich einmal im Monat besuchen, und dann haben sie gesagt, wir sollen, ich weiß nicht, zwei Hosen mitnehmen, zwei das und das, ganzes Minimum. Da sagt meine Mutter: „Sie haben ja Kleidung. Wir können sie …“ – „Nein, das ist alles.“ Das waren Sadisten. Wir haben nichts gemacht außer gearbeitet. Um fünf in der Früh auf, Boden gewaschen. Das hatte ich noch nie gemacht. Ich war zehn, meine Schwester war zwölf Jahre. Dann hat man uns in andere Gruppen gegeben, sodass ich alleine war. Und du hast gesehen, wie schöne lange Zöpfe ich gehabt habe. Das wurde total abgeschnitten, ohne meine Mutter, ohne mich zu fragen, gar nichts. Wir haben geschuftet alle, aber ich habe immer gedacht, diese armen Kinder…einmal werden mich meine Eltern herausholen und diese armen Kinder nicht. Aber wir haben ja nicht spanisch gesprochen. So habe ich natürlich, wenn jemand gesagt hat: „Mach’ das“, habe ich es nicht gemacht, weil ich es nicht verstanden habe. Da wurde ich natürlich bestraft. Und ich war nie…meine Schwester war die Kranke. Sie hat alle Kinderkrankheiten gehabt, furchtbar. Ich habe nie etwas gehabt, aber ich habe angefangen…dann hat man uns gegeben schimmliges Essen auf Blechtellern, die so grünspanig waren. Ich habe das schon gesehen und habe schon erbrochen. Dabei habe ich immer gut gegessen. Und meine Schwester hat gesagt: „Iss’ es doch!“ Da habe ich gesagt: „Das kann ich nicht…ich kann nicht, ich kann nicht, ich kann nicht!“

Und so, ein Monat ging vorüber, und ich war total, als ob mein ganzes Wesen gebrochen wäre. Ich habe auch auf nichts reagiert. Meine Eltern sind gekommen, und meine Schwester hat sie begrüßt und alles. Ich bin dort gestanden, wie leblos. Da sagten sie: „Wo ist die Lisl?“ – „Hier steht sie doch.“ Sie hat mich angeschaut, natürlich, ich habe neun Kilo abgenommen, ohne die Haare, und sie hat angefangen, zu weinen. Und dann kam…aber sie konnten uns nicht rausnehmen. Wo wird sie uns lassen? In dem Zimmer, das wir uns gemietet haben, das war…das nannte man [unklar], das war ein langer Gang, und dann waren die Zimmer, und dann war ein großer patio in der Mitte. Da gingen die Mädels mit zwölf Jahren schon als Huren mit den Männern. Das habe ich natürlich nicht mitgekriegt. Aber meine Eltern haben das gesehen und gesagt: „Wir können sie doch nicht mal einen Tag hier lassen.“

EL: Dort, wo sie gewohnt haben?

AL: Dort, wo wir gewohnt haben. Und so mussten wir bleiben. Und der Papa hat mir versprochen, Ehrenwort von einem Oberleutnant, dass er mich rausholen wird, sobald als möglich.

 

1/00:35:23

 

Natürlich war die Sache nicht verbessert, und inzwischen ist Weihnachten gekommen. Wir haben Geschenke bekommen. Weil diese Leute von der Gesellschaft haben ja Sachen geschickt für uns, nur diese, die dort gearbeitet haben, haben die ganzen Früchte, die Körbe, alles, das haben sie für sich selber behalten und haben den Kindern nichts gegeben. Und ich habe eine Puppe bekommen, das war mein einziges Spielzeug. Die habe ich natürlich geliebt. Und dann…ich weiß nicht, wie es war. Auf jeden Fall hat man mich in die Abteilung für Kranke gegeben, weil ich so viel abgenommen habe und nicht essen konnte, weil ich mich immer übergeben habe. Stell dir vor, da gibt man mir das Zimmer, wo die Kinder Masern hatten. Dann habe ich die Masern bekommen und ein ganz schlimmer Fall mit Mittelohrentzündung und alles. Und da bin ich dann…das war wie im Krankenhaus. Und dann haben sie Angst gehabt, dass ich sterben werde, weil ich nichts esse. Und da haben sie Angst bekommen, wenn wir…weil da haben sie herausgefunden, dass diese Dame der Gesellschaft uns empfohlen hat…dass, wenn wir was sagen, dass die dann ins Gefängnis kommen. Wir hatten natürlich keine Absicht, das zu machen. Wir hatten Angst vor der Polizei.

Und so…dort hat jemand gearbeitet, auch auf die Kinder achtgeben, in einer niedrigen Position. Sie war eine halbe Indianerin, ich kann sie vor mir sehen. Rosita hat sie geheißen. Und die war ganz lieb zu mir. Wenn alle weg waren, hat sie mir auf den Teller von ihrem Essen, hat sie mir Essen gebracht. Das habe ich gegessen, das war normales Essen. Und ich habe gesagt…sie hat mit mir gesprochen, und ich habe sie ja nicht verstanden. Und so habe ich eine erste Nacht gut durchgeschlafen, und die haben mich aufgeweckt, was weiß ich, um sechs in der Früh, um mir Orangensaft zu geben. Und ich wusste, ich bin aufgewacht, habe so gemacht, und das Glas ist umgefallen. Als Bestrafung, mit 40 Grad Fieber, habe ich aufwaschen müssen, den Boden von der Krankenabteilung. Und das fand ich so ungerecht, denn ich habe es ja nicht verstanden. Auf jeden Fall ist der zweite Monat vergangen und meine Schwester, inzwischen, irgendwie war sie älter und hat mehr verstanden…ich weiß es nicht. Ich war noch nie von Zuhause weg, es hat mich eben betroffen, und da haben sie gesagt, die Renée dürfte nach Hause gehen, aber ich nicht. Da war ich total unglücklich. Und durch jemanden, der übersetzt hat, haben sie gesagt, dass ich eben gepflegt werden würde und gut Essen bekomme und so weiter und ich müsste gesund werden, ich hätte Mittelohrentzündung und auch die Masern und so weiter. Auf jeden Fall bin ich geblieben, aber mein Vater hat mir versprochen, dass er mich sobald wie möglich rausnimmt. Und so bin ich noch einen Monat geblieben, aber dann hat mir die Rosita öffentlich Essen bringen können. Denn jetzt haben sie mich aufpäppeln wollen. Ich habe immer gut gegessen, da habe ich natürlich zugenommen, sodass ich nach dem dritten Monat auch rausgenommen wurde.

Jetzt war aber das Problem: Wo lassen sie uns? Und da haben sie herausgefunden, dass es jüdische Organisationen gab, von Leuten wie uns, die ein Kinderheim geschaffen haben, für Kinder von anderthalb Jahren bis sie eben die Volksschule beendet haben. Und die Lehrer waren die besten, die haben ja auch…Leute, die ausgewandert sind. So hatten wir Lehrer, die besonders gut waren, und die haben in mir…wie soll ich sagen…erstmal wollte ich gar nicht gehen. Ich sagte meinem Vater: „Ich gehe nicht.“ Und da hat er gesagt: „Machen wir es so: Geh’ eine Woche, und wenn du da nicht essen kannst und nicht dort sein willst, ich nehme dich raus, und wir kriegen dich woanders unter.“ Aber die habe ich doch natürlich sofort geliebt. Wir haben alle diese Lehrerin…Tante haben wir gesagt…und jetzt noch habe ich eine getroffen, die war damals achtzehn Jahre alt. Also ich war zehn, und die war achtzehn. Und die war besonders in Künsten…also lesen und…ich habe immer sehr gut gelesen. Ich habe schon in Wien…wie ich zehn Jahre alt war, habe ich schon Wilhelm Busch gelesen, und meine Tante hat viele Bücher gehabt. Aber von den Künsten habe ich nichts gewusst, und die hat mir meine Liebe für Musik gebracht und hat von den vielen Damen der Gesellschaft…dann haben sie ihr geschickt, so viele Karten für die Oper, für ein Konzert. Und da hat sie gesehen, dass ich Interesse habe, und da habe ich mein erstes Konzert gesehen, mit Yehudi Menuhin. Ich habe mich gleich in ihn verliebt.

 

1/00:41:03

 

Dann habe ich meine erste Oper gesehen…Die Fledermaus…nein, nicht Die Fledermaus…von [Wolfgang Amadeus] Mozart, mit Pamina und Papageno.

EL: Ist das die Zauberflöte?

AL: Zauberflöte. Also ich war total…dass es sowas gab, ich war überhaupt total weg. Ja, und da wir nicht bezahlen konnten, habe ich auf kleine Kinder achtgegeben. Ich habe dir gesagt, ich habe immer Babys geliebt. Das waren die Kleinsten, von anderthalb bis drei Jahre. Und die haben mich geliebt, die Kinder, und ich habe sie geliebt. Und ich kann mich erinnern, da waren Zwillinge, ganz süße Kinder, und alle haben sie immer die Kinder bewundert. Und mich hat geärgert, dass das Kind, was nicht so hübsch war, hat natürlich niemand bewundert. Und du weißt, die Buben müssen ja die Jarmulke haben, am Freitagabend, und einmal ist meine Mutter…wir konnten schon…wir alleine nach Hause gekommen. Ich bin mit meiner Schwester…sie war zwölf, und ich war zehn und dann zwölf, dreizehn, vierzehn…sind wir alleine nach Hause gekommen. Aber einen Freitag hat meine Mutter uns abgeholt, und da haben sie den Schabbes gefeiert, und die haben keine Jarmulke gehabt. Und ich habe zwei kleine Buben gehabt und habe meine Hand auf ihren Kopf gehalten, damit sie eine Kopfbedeckung haben. Und da hat meine Mutti gesagt: „Das waren wirklich hässliche Kinder, die du gehabt hast. Warum hast du nicht ein schönes ausgesucht?“ Da sage ich: „Die schönen wollen alle haben, und um die kümmern sich alle. Und keiner kümmert sich um die!“ So habe ich denen besonders viel Liebe gezeigt, weil sie mir leidgetan haben, weil sie sind daneben gestanden, neben dem hübschen Kind. Das ist so im Leben.

Ja und dort war ich sehr glücklich. Die waren sehr gut, und da habe ich sehr gute Erinnerungen, trotzdem kein Geld da war. Aber ich meine, die haben ja auch Sachen weggegeben, und ich habe…mit dreizehn Jahren war ich 1,75 [Meter] – ich meine, jetzt gehe ich schon zusammen – und war größer als alle anderen, sodass ich die Kleidung von Erwachsenen getragen habe. Damals gab es keine Mode für Teenager. Natürlich hat mein Vater drauf…die Ärzte, die gekommen sind, konnten nicht Ärzte sein. Sie mussten ein Examen ablegen, und die Ingenieure und all die, die einen Beruf hatten. Und man muss etwas lernen, was ein Handwerk ist. Und ich wollte studieren. Ich meine, ich wollte Mittelschule machen, aber es…hier wäre es anders gewesen. Du musst die Mittelschule machen, da ist ein Zwang. Dort nicht. Ich habe die Volksschule gemacht und fertig. Und da war ich total enttäuscht, dass meine Eltern nicht aufgeopfert haben etwas. Ich kann mich erinnern, wir haben die Wäsche im Winter in dem kalten Wasser…wir hatten lauter Frost an den Händen, mit meiner Schwester, weil wir das gewaschen haben, weil meine Mutter hat geweint. Und ich kann mich erinnern, ich habe einmal…meine Schwester hat das Geschirr abgewaschen, ich habe es abgetrocknet. Und ich habe protestiert. Da hat meine Mutti gesagt: „Du bist missmutig, und du protestierst und alles!“ Ich sagte dann: „Ich mache es. Muss ich es auch noch gerne machen?“ Denn sie wollte es nicht machen! Nicht, dass sie das bewusst nicht machen wollte. Du kannst dir nicht vorstellen, sie hat Rezepte mitgebracht, die waren für zwölf Personen, weil immer zwölf Personen da gegessen haben. In einem Teil des Hauses haben meine Großeltern gewohnt, im anderen Teil wir. Und dann sind immer Leute dazugekommen, also die Rezepte waren immer für zehn Personen, zwanzig Personen. Ich kann mich erinnern, mit diesen…Holzkohle…wer hat schon Holzkohle gehabt? Und das Wasser hat nicht gekocht und nicht gekocht, und die Mutti wollte machen Zwetschgenknödel. Und da hat sie die – das Wasser hat nicht gekocht – reingeworfen. Du kannst dir vorstellen, wie hart die waren. Jetzt wollte ich sie nicht essen. Mein Vater hat gesagt: „Schluck, weil sonst weint sie wieder. Schluck!“ [Lacht.] Es ist eine Komödie…es war eine Tragödie. Aber sie wurde nachher eine wunderbare Köchin und Bäckerin. Sie wurde berühmt für ihre Bäckereien. Die Dobostorte, die Sachertorte, das waren Torten, die haben Sprachen gesprochen und waren talentiert. Das waren die besten, die ich je gegessen habe.

 

1/00:46:13

 

Und dann…natürlich durfte ich nicht in die Schule gehen. Also, ich soll…damals haben die Damen noch Hüte getragen. Und ich sollte also Modistin werden. Ich war sehr exakt, ich habe eben wunderschön genäht und sehr genau und alles. Das hat mir gar nicht zugesagt. Und da habe ich gedacht, ich muss etwas lernen. Und dort gab es keine Schulen so wie hier, wo man alles am Abend studieren kann. Nur die ausländischen Schulen, die privat waren: eine deutsche Schule, eine englische Schule, eine französische, eine italienische. Nun, nachdem es nichts anderes gab…also ich war immer sehr für Amerika. Im Krieg habe ich mir einen kleinen Hut von Uncle Sam angesteckt, und ich wollte immer nach Amerika. Ich bin auch die einzige, die ausgewandert ist, von meiner Familie. Ja, und da habe ich mich eingetragen ins Instituto Cultural Argentino Norteamericano. Das hast du verstanden?

EL: Ja.

AL: Und ich habe sogar einen besonderen Preis bekommen, weil sie wussten, dass ich nichts hatte. Ich habe aber bezahlen müssen. Das habe ich von meinem Gehalt bezahlt und habe mein ganzes Gehalt meinem Vater gegeben, und er hat mir gegeben, wie viel er wollte, bis ich zwanzig Jahre alt war. Und dann erst habe ich die Hälfte meines Gehaltes behalten und die andere Hälfte für meine Familie. Meine Schwester hat schon sehr jung geheiratet. Und da bin ich aufgeblüht. Ich habe die…ich glaube, das waren acht Jahre. Ich habe die acht Jahre in vier Jahren gemacht und habe besser gesprochen wie alle anderen. Erstmals hat mir das Deutsche geholfen. Ich bin eine Linguistin, ich will alles so gut wie möglich sagen und das Wort suchen und nicht ein Fremdwort gebrauchen, denn sonst mischt man die Sprachen. Ja, und da war ich sehr gut, und das hat mir imponiert, dass ich in etwas gut war. Wir haben aber inzwischen…als wir ankamen, waren die Schulen zu Ende, fast zu Ende, so konnte ich das Jahr nicht anfangen. Ich habe wieder ein Jahr verloren. Und dann hat man da Stunden…die waren umsonst, auch von jüdischen Hilfsvereinen oder was…gehabt, wo wir Spanisch lernen konnten. Da war ich mit meinen Eltern. Natürlich war das Abend, und ich bin eingeschlafen. Der Lehrer hat mich was gefragt, und ich habe nicht zugehört, und mein Vater hat mit mir geschimpft. Und der Lehrer sagt: „Lassen Sie sie. Sie werden noch herumgackern, und sie wird schon wunderbar Spanisch sprechen, also lassen Sie sie in Ruhe.“ Denn es waren ja keine Kinder da, nur jemand, der eben die Kinder mitgenommen hat. Und das war auch so, mein Vater hat das schrecklichste Spanisch gesprochen, und ich habe natürlich…ich bin dann in die dritte Klasse gekommen. Ich war sehr ehrgeizig. Ich habe natürlich drei Monate „Nicht genügend“ bekommen, habe aber Ende des Jahres den besten Aufsatz geschrieben, von der Schule. Und ich war so schüchtern. Ich hatte derartige Komplexe, weil ich so groß war und ausländisch war und ausländisch ausgesehen habe und nicht klein und pummelig und dunkel war. Ich war todunglücklich und habe tausend Komplimente…wie sagt man?

EL: Komplexe--

AL: --ja, Komplexe gehabt.

 

1/00:50:24

 

Aber dann natürlich, von da an ging es aufwärts. Aber ich will dir noch etwas beibringen…damals hat man uns gegeben auch eine…das war obligatoire, eine…dass man uns gelehrt hat economia domestica. Also das war, wie man einen Tisch deckt und wie man…dass wir uns dort etwas gekocht haben. Also, dass man irgendwie einen Begriff hat, wie man isst und so weiter. Und dann haben sie gesagt, wir müssen alle bringen eine Serviette als Tischdecke und eine Serviette und, was weiß ich, Besteck und Teller und alles was wir mitbringen mussten. Das habe ich ja gehabt. Aber wir haben aus dem feinsten Porzellan gegessen, das einzige was wir mitgebracht haben. Und wir konnten den billigen Kram überhaupt nicht kaufen, weil wir kein Geld hatten. So bin ich gekommen und ich habe meinen Tisch sehr schön gedeckt, denn seit drei Jahren durfte ich am Tisch essen, weil ich mich gut benommen habe am Tisch. Und natürlich mit Gabel und Messer essen musste, so habe ich ordentlich gegessen wie eine Erwachsene. Und die Lehrerin kommt…und wir alle weiße…so wie Mäntel gehabt. Alle Kinder waren in weiß, sodass keines anders ist. Aber ich habe natürlich ein billiges gehabt, nicht ein schönes, mit einer großen Masche oder so. Außerdem war ich ja sehr groß. Und ich decke auf, und sie kommt und schaut das an und fragt: „Wem gehört das?“ Da sage ich: „Sie haben ja gesagt, ich soll das bringen. Das gehört uns, mir…das gehört mir.“ Sie hat sich gedacht, ich hätte es vielleicht gestohlen von wo. Denn die wussten, wie arm wir waren. Und hier habe ich Silberbesteck und all das, und mir ist es natürlich nicht aufgefallen, weil es das ist, was wir für alle Tage…das haben wir eben gebraucht…und wie ironisch das Leben ist. Hören wir auf?

EL: Wollen Sie aufhören?

AL: Ja, ich weiß nicht, was ich noch erzählen soll.

EL: Was ich nicht ganz verstanden habe, Sie waren zuerst in diesem Waisenhaus, und dann haben Ihre Eltern Sie rausgeholt, und wo sind Sie dann hingekommen? Was war das genau?

AL: Das war ein Kinderheim für alle von…wir waren alle Emigranten, die neu gekommen sind. Es wurde organisiert von einer…vom Hilfsverein. Dieselben, die das Adolfo Hirsch-Heim hatten…das ist dieselbe Organisation. Und die hat gemacht, dass wir eben nach der Schule gekommen sind, dass jemand uns geholfen hat mit den Aufgaben und dass wir gespielt waren, und die Kinder waren in Kategorien. Nur wer eben bezahlen konnte, hat bezahlt, und ich konnte nicht bezahlen, so habe ich eben auf die kleineren Kinder achtgegeben, was ich gerne gemacht habe. Das waren…da habe ich sogar einen gehabt, der war in der ersten Klasse, und der war so dumm. Bernaldo hieß er. So ein richtig…ein Patscherl, also dick und kein hübsches Kind und nicht gescheit, also wirklich gar nichts. Mit dem musste ich lesen, weil der so schlecht gelesen hat, und das konnte ich ja. Da habe ich fünf Pesos im Monat bekommen, weil ich ihm…da bin ich ins Kino gegangen nach vier Jahren, wo ich nicht im Kino war. Und dann natürlich habe ich mir diese amerikanischen Filme angesehen und die Musicals. Ich war total in einer anderen Welt. Aber als ich nach Amerika kam, habe ich herausgefunden, dass nicht jeder singt und tanzt. [Lacht.]

EL: Und in diesem anderen, wo Sie nach dem Kinderheim hingekommen sind, haben Sie dort auch gewohnt, oder haben Sie dann wieder zuhause gewohnt?

AL: Nein, da habe ich zuhause gewohnt. Ja, inzwischen dann, mein Vater hat zuerst mal einen…als Peon, das ist die niedrigste Arbeit, die die schweren Säcke schleppen müssen und so. Mein Vater hat überhaupt…physisch, du hast gesehen, ein schlanker Mann. Er hat sofort Leistenbruch bekommen, konnte das nicht weiter machen. Sein Leben lang hat unter einem Leistenbruch gelitten. Dann aber haben wir herausgefunden…er hat ja auch die Bücher geführt in Güssing und ist als Buchhalter, nicht als lizensierter, sondern er hat bei einer Gesellschaft gearbeitet als Buchhalter, denn in Zahlen hat er die Sprache nicht gebraucht. Und die Leute waren wirklich so nett. Ich habe ihn einmal geholt und gehe rein, und mein Vater hat nur im Infinitiv gesprochen. Er hat keine Vergangenheit, keine Zukunft, und überhaupt die Verben konnte er überhaupt nicht kapieren, und da haben sie alle gesprochen wie er. Und ich fragte: „Warum sprechen Sie so?“ – „Ja, damit der Herr Latzer uns versteht.“ Da habe ich sie angeschaut: „Sprechen Sie richtiges Spanisch, damit er es lernt!“ Da haben sie von ihm gelernt, ein schlechtes Spanisch zu sprechen. [Lacht.]

 

1/00:55:50

 

EL: Dazwischen haben Sie Modistin gelernt. Haben Sie das fertig gemacht, oder wie war das?

AL: Nein, inzwischen ist Modistin nicht modern geworden und außerdem…und das hat wieder mit einem Baby zu tun. Ich war vierzehn Jahre alt und habe bei einer Österreicherin, bei einer Wienerin…die hat durch die Emigration und alles sich nicht erlaubt, Kinder zu haben, aber sie hatte einen Salon, sie war Modistin und hat gut verdient. Und sie hat endlich ein Baby bekommen mit 38 Jahren. Und die Susi war ein kein sehr schönes Kind. Auf jeden Fall war das Baby da, und ich habe dort gearbeitet, als Lehrerin. Sie hat mit ihrer Mutter gelebt…die Mutter hat mit ihr gelebt. Und dann hat sie ein Mädchen gehabt für das Baby, und die Mutter und so. Und sie hat irgendeine Krankheit bekommen, sodass sie einen Monat…ein Jahr im Krankenhaus war und nicht nach Hause gehen konnte…irgendeine Infektion von ich weiß nicht was. Und da haben sie mich gebeten, da ich die Susi so gerne habe, ob ich nicht bleiben würde, um auf die Susi achtzugeben. Und dann, als sie gesund wurde, dann bin ich auch mit ihnen in Ferien gegangen und war für die Susi da, und es war das erste Mal, dass ich am Meer war und so. Und so bin ich gar nicht dazugekommen, Modistin zu werden. Inzwischen war Modistin gar nicht mehr so gut, und ich habe mir gedacht, ich kann mehr verdienen, wenn ich in ein Modehaus als Verkäuferin gehe, eines von den guten. Und ich habe gut ausgesehen, war ein hübsches Mädel, habe eine gute Figur gehabt, und wenn ich einigermaßen gut angezogen bin, habe ich sehr gut ausgesehen. Denn hier bin ich zu Elizabeth Arden gekommen, das Beste vom Besten auf der Welt. Ja, und ich war dann Verkäuferin und habe gut verkauft, sodass ich dort mehr verdient habe. Und dann…mein Vater hat natürlich auch besser verdient. Wir haben eine Wohnung genommen.

Aber nach zwei Jahren, meine Großeltern mütterlicherseits, die sind mit ihrem Sohn, der gehbehindert war, und der Schwiegertochter und den Kindern, sind die nach Portugal. Und die haben noch etwas Geld gehabt. Und natürlich, in den zwei Jahren haben sie es aufgebraucht, weil jemand…die Schwiegertochter war die einzige, die gearbeitet hat. Sie hat als Englischlehrerin gearbeitet. Mein Onkel hat nichts bekommen. Und wie das Geld zu Ende war…also, die Schwiegertochter ist nicht wie eine Tochter…meine Tante war eine fantastische Person, aber die beiden haben sich gar nicht verstanden. Meine Großmutter war sehr schwierig, eine richtige verwöhnte Frau, wie von der damaligen Zeit, wo der Mann zwölf oder dreizehn oder fünfzehn Jahre älter war und sie die schöne Dame war und alles. Das hat man ja gemacht. Und so ist sie nach zwei Jahren nach Argentinien gekommen, wo wir noch nicht richtig auf den Füßen gestanden sind. Aber wir haben uns gefreut, weil wir gesagt haben, dann kann die Mutti arbeiten, und ich arbeite, und der Papa arbeitet und meine Großmutter…Mädel hat man ja bekommen. Wir haben es dreimal in der Woche gehabt, sodass sie die harte Arbeit nicht machen musste, aber meine Großmutter war eine Dame, die nur in Reinseide gegangen ist und alles. Und wenn wir überhaupt nichts an Kleidung hatten, das war ihr ganz egal…total egoistisch. Und ja, das hat nicht geklappt, sodass ich angefangen habe zu arbeiten und meine Mutter zuhause geblieben ist, mit der Großmutter. Und das war kein leichtes Leben. In einer kleinen Wohnung, drei Generationen, das ist ein sehr schweres Leben. Sodass man…ich habe gelernt, nichts von meinen Sachen zu erzählen, gar nichts, als ob ich ein anderes Leben hätte und ein anderes Zuhause. Aber die Inflation war so schlimm, man konnte es sich nicht leisten, etwas zu kaufen oder etwas zu nehmen, weil alles schon am nächsten Tag teurer war. Und ich immer…meine Schwester hat geheiratet und hat sich die Hände gewaschen…Pontius Pilatus, ihr ist es gut gegangen und sie hat…die arme Familie war nicht in den Zirkeln von denen ihres Mannes.

 

1/01:00:54

 

Sie hat es nachher bereut, dass sie sich so benommen hat, aber sie war ja auch fünfzehn Jahre alt und hat das Beste für sich gesucht. Und ich war immer die Zielbewusste, ich war immer eine Idealistin. Geld hat gar nichts zu bedeuten und was es kaufen kann und so…also nicht auf Reichtum aus, oder nur mit jemandem ausgehen, weil er Geld hat…das war ich eben nicht. Und so habe ich mir es erarbeitet.

EL: Das heißt, Ihre Schwester hat dann nicht mehr gearbeitet, als sie geheiratet hat?

AL: Nein. Sie hat angefangen als Modistin und hat schon ganz gut…weil sie hat ja zwei Jahre vorher angefangen. Ich kann mich erinnern, am Samstag haben wir uns getroffen, weil man nur einen halben Tag gearbeitet hat, am Samstag, und dann sind wir nach Hause gegangen, und dann haben wir uns so ein spezielles Sandwich gekauft, aber da haben wir nur eines gekauft, und das haben wir halbiert. Und dann hat sie mir ein Eis gekauft, einmal in der Woche. Und das haben wir beibehalten, jedes Mal wenn ich zurückgekommen bin, muss sie mir ein Eis kaufen.

EL: Ach so, sie ist ja dortgeblieben, genau.

AL: Ja, dann die ganze Geschichte…mein Schwager war wirklich, das hat sich später nach seinem Tod herausgestellt…war das was…wie sie gesagt hat, sie wird sich mit ihm verloben, habe ich gesagt: „Was? Hans, das Ekel?“ Und das war er. Er war ein schlimmer Mann…zu seinen Kindern, zu allen, zu uns. Für mich war er…hat mir Komplexe gegeben, noch und noch…ein Leben lang von Komplexen. Er war sowas Eingebildetes, er war ein Deutscher. Und ich habe ihn mehr gehasst wie viele Deutsche, die nicht Juden waren…ein ganz schlimmer Kerl. Hast du etwas auf der Liste, was du noch wissen willst?

EL: Ja. Wie war das dann, wie Sie in die USA gegangen sind?

AL: Das ist eine ganze…hör’ es auf.

Ende von Teil 1.

 

Teil 2

AL: Ich war miserabel zuhause, denn ich habe mich weiter kultiviert. Meine Schwester, natürlich, war die Dame, die elegant ausgegangen ist, mit einem Mann, der total unkultiviert war. Nur sagen sie: „Ich war im Hotel soundso in Florence, im Hotel soundso da, und da habe ich das und das gegessen, und das habe ich da und da gekauft, und das muss eine Marke haben.“ Das war total das Gegenteil. Und ich bin geblieben, dass meine Schwester zuhause nichts geholfen hat. Mein Vater wurde dann…als der Krieg zu Ende war, hat er das Haus verkauft, natürlich schlecht, die Russen waren da, aber trotzdem. Und da hat er alles gespart, und ich musste eben meinen Teil abgeben, und meine Mutter war immer sehr pflichtbewusst – was auch nicht so gut ist. Und sie hatte Komplexe. Meine Mutter hat total Angst gehabt, dass wenn ich nicht da bin…sie hat mich nicht ausgehen lassen, und dann habe ich doch jemanden kennengelernt und so. Aber ich war nicht im richtigen Milieu für mich, und so, mit denen, wo ich ausgegangen bin…meinen ersten Freund, den ich gehabt habe…ein sehr gut aussehender Bursche und wir sind ausgegangen, und es war sehr schön und alles. Aber ich habe weiter studiert, und nach fünf Jahren war ich da, und er war noch immer genauso, wie er früher war. Und das ist mir mit dem zweiten genauso passiert, weil ich immer mehr lernen wollte. Ich wollte immer mehr wissen, und ich wollte nach Amerika fahren. Und ich habe natürlich wahnsinnig sparen müssen. Meine Schwester hat mir ihre Kleider – die hat sie ja nicht so oft getragen, mit ihren eleganten Freunden – gegeben. Außerdem haben sie mich geführt, weil meine Schwester auch nicht ausgehen durfte, und ich war der Anstandswauwau. Jetzt war ich dreizehn Jahre, wo ich mit ihr ausgegangen bin, in night clubs, mit ihrem Freund, und sie war zwei Jahre älter, und die anderen waren alle zwanzig Jahre älter. Ich war total…das war kein Milieu für mich. Dass ich nicht eine Hure wurde, ist ein Wunder. Weil ich nie mit dem…der hat mir nicht gefallen und der nicht, und mit dem wäre ich schon überhaupt nicht ausgegangen. Ich bin wirklich…ich habe einen Engel gehabt, der mich begleitet hat, mit all den Sachen, die passiert sind. Weil ich war unglücklich…zuhause habe ich kein Zuhause gehabt, weil ich habe müssen im Speisezimmer schlafen. Wenn meine Eltern die Kartenpartie hatten, musste ich aufbleiben. Oder ich konnte ausgehen, aber da sie nicht wollten, dass ich ausgehe…es war eine schreckliche Situation. Ich konnte es mir aber nicht leisten eine Wohnung…ich habe eine Wohnung gekauft, die wurde gebaut. Ja, das ist nicht Amerika. Dort wurde eine Wohnung gebaut, und fünf Jahre später wird sie noch gebaut, und noch gebaut, und noch gebaut…bis ich ausgewandert bin. Und ich habe…mein Schwager hat…ich habe meiner Freundin hinterlassen, also die Unterschriften, dass sie für mich unterschreiben konnte. Und mein Vater war entsetzt. Das solle ich Hans lassen, er würde sein ganzes Geld bei ihm mal anlegen und alles, aber ich war nicht so sicher. Aber auf jeden Fall habe ich es ihm zuliebe getan, und natürlich habe ich das verloren, weil er es…er hatte die Unterschrift gehabt, und ich war schon in Amerika, und da hat er einfach gesagt, er hätte es für 2.000 Dollar verkauft.

EL: Was hat er verkauft?

AL: Meine Wohnung, die fertig wurde. Drei Schlafzimmer, living [room], Badezimmer und Küche…für 2.000 Dollar, verkauft. Ich nehme an, sie war schon in Amerika, jetzt war ich schon klüger. Ihm habe ich nicht mehr einen Groschen gegeben. Aber wie ich gekommen bin…ich habe mir vom Mund abgespart, sozusagen, und bin mit, glaube ich, 24 oder 25 Jahren…habe ich eine Amerikareise gemacht. Mein Großvater hatte Cousins da und so. Da war ich ja viel jünger, neben denen. Und da waren zwei, die eine war Witwe, und die andere war ledig, und die haben ein Geschäft zusammen gehabt. Und die waren besonders nett zu mir. Ich habe dann, wie sie alt wurden und ihre Nichten und Neffen nichts für sie getan haben, habe ich alles für sie getan, weil die so gut zu mir waren, als ich kam. Auf jeden Fall, auf der ersten Reise war ich da, und dann hatte ich eine Freundin in Detroit, eine Argentinierin, die hat einen Amerikaner geheiratet. Und die hat Heimweh gehabt, und ich solle kommen und kommen. Also da war ich auch. Natürlich war ich in einer anderen Welt. Ich war frei, und da habe ich gesehen, wie andere leben und was andere machen und alles. Und ich habe sogar schwarzgearbeitet, weil bei einer wie ich ja auch…wie ich die Schule, also die Volksschule, beendet hatte, da habe ich außer dem, dass ich im Kinderheim achtgegeben habe, war ich bei einer Modistin und habe die Säume gemacht, den ganzen Sommer, also meine Ferien. Und so konnte ich das machen, und der habe ich dann auch irgendwie geholfen mit dem Nähen und so weiter. Und das hat sie mir schwarz bezahlt, und dadurch konnte ich ein Jahr bleiben.

 

2/00:05:43

 

EL: Ein Jahr in Amerika?

AL: Ja. Und ich bin ein bisschen herumgereist, nicht viel, denn ich hatte nicht viel Geld. Ich habe mir Niagara Falls angesehen, und ich war in Detroit, und ich war in New York und Umgebung und so. Und dann habe ich meiner Mutter geschrieben…wir hatten keinen Computer damals…dass ich bleiben würde. Meine Mutter hat mir geantwortet, und da hat sie mir so viel Schlechtes angetan. Wenn sie das gewusst hätte…sie hat mir geschrieben, dass wenn ich nicht komme, bringt sie sich um. Und ich habe ihr geglaubt und bin schweren Herzens…ich hatte schon einen Freund, also nicht ganz ernst, aber ich bin ausgegangen, ich habe mich frei gefühlt…ich habe gesehen, dass ich ein normaler Mensch bin. Und ich bin zurückgefahren, und natürlich war ich noch unglücklicher, weil jetzt hatte ich schon etwas anderes gesehen und gesehen, dass man Arbeit findet, wenn man will. Und da habe ich angefangen, zu sparen. Und es hat acht Jahre gedauert, bis ich das Geld hatte, um wieder hinfahren zu können. Und ich habe dann sofort geschrieben, dass sie sich nicht umbringen soll, weil ich bleibe. Und meine Mutter hat sich nicht umgebracht. Meine Mutter hat es mir sehr schwer gemacht. Ich habe versprochen, ich würde sie jedes Jahr besuchen, was ich auch eingehalten habe. Ich fahre jetzt noch jedes Jahr hin, wo nur noch mein Neffe da ist. Und dann bin gekommen, da hat sie angefangen, zu weinen. – „Warum weinst du?“ – „Ja, weil du in drei Wochen wieder wegfährst.“ Da sagte ich: „Weißt du was, Mutti, jetzt machen wir einen Pakt. Eins, du sagst mir immer, ich werde ein Nagel in deinem Sarg sein. Ich mache dich frei davon. Wenn ich vorher sterbe, wirst du nicht der Nagel in meinem Sarg sein, und werde nicht der Nagel in deinem Sarg sein. Und wenn du noch so anfängst, zu weinen und wie ein Kind einen Anfall bekommst …“. Denn inzwischen bin ich allein, ich habe mich allein erhalten, ich habe mir allein eine neue Emigration noch erkämpft. Und da habe ich gesagt: „Ich habe die Koffer schon gepackt. Wenn du willst, kann ich jetzt anrufen den Flughafen oder die Fluglinie, und ich kann gleich wieder nach Hause fliegen. Dann bin ich überhaupt nicht da.“ Und von da an hat sie angefangen, das nicht mehr zu machen.

Aber es war schwer in Amerika, auf jeden Fall. Am Anfang haben mir diese älteren Damen sehr geholfen. Und ich war immer sehr sparsam, und habe mich begnügt mit dem, was ich hatte, und habe mir geschworen, dass ich nichts von jemandem verlangen werde. Und dann war ich…ja, meine Tante war in Kanada, die früher in…die ausgewandert sind nach Portugal. Ich habe die geliebt, meine Tante, und habe sie auch jedes Jahr besucht. Und da hat sie gesagt, ob ich nicht dortbleiben wollte. Das war der erste Winter. Warst du schon mal in Kanada im Winter?

EL: Nein.

AL: Also für mich war das der Nordpol. Erstmal habe ich nicht die richtige Kleidung gehabt. Ich habe mir soviel angezogen, ich bin herumgegangen wie ein Kreuz. Ich konnte die Arme nicht nach unten bringen. Ich war in Montreal, und jede fünf Minuten war ich in einem Geschäft, um aufzutauen. Ich kannte jedes Geschäft in Montreal, wo man umsonst eine Tasse Tee oder eine Tasse Kaffee haben konnte. Und da habe ich gesagt: „Weißt du, das ist kein Land für mich. Ich werde nach New York fahren, und ich werde sehen.“ Zu fliegen konnte ich mir ja nicht leisten. Ich bin mit dem Zug in New York angekommen, da war es wie Frühjahr, und da sagte ich: „Hier bleibst du.“

 

2/00:09:58

 

Dann habe ich durch diese Dame…die hat jemanden gekannt, der Sohn hat geheiratet, und da hatte sie ein Zimmer zu vermieten, 60 Dollar im Monat. Und da habe ich gesagt, das werde ich schaffen. Ich habe aber…natürlich war ich auf einem Besuchsvisa, aber die österreichische Quote war sehr gut, weil die Österreicher damals nicht ausgewandert sind. Weil Anfang der [19]60er-Jahre ist es ihnen gut gegangen. Und dann aber, um keinen Fehler zu machen, weil ich bin für legale Dokumente hundertprozentig, und bin zu einem, der war auch jemand aus Österreich, der ausgewandert ist. Der hat bei der Immigration gearbeitet und war pensioniert. Und da habe ich ihm gesagt: „Ich weiß nicht, was ich machen soll.“ Da sagt er, er wird mir 350 Dollar verlangen. Weißt du, wieviel das für mich war? Er hätte mir sagen können eine Million. Ich habe keine 350 Dollar, da habe ich gesagt: „Ich habe sie nicht.“ Da sagt er: „Ich vertraue Ihnen. Sie können mir zahlen, wann sie wollen. Ich werde Ihnen die Papiere legal…Sie dürfen nur eineinhalb Jahre nicht aus dem Land fahren, sonst können Sie alles machen. Und ich werde Ihnen sagen, wann Sie arbeiten können.“ Und ich habe mir inzwischen eine Stelle gesucht. Jetzt…ich habe mir doch alles angesehen und so. Ich denke mir, wenn ich mich schön herrichte und alles, als Verkäuferin kann ich immer gehen. Aber ich würde auf der 5th Avenue nur arbeiten, bitte…jetzt war ich schon…und es muss auf der 5th Avenue sein, und es muss etwas sein, was mir gefällt.

Und dann hat er gesagt, ich dürfe arbeiten, und ich bin inzwischen in all die Geschäfte reingegangen auf der 5th Avenue, darunter Elizabeth Arden. Und ich habe ja Englisch gesprochen. Ich habe sogar sehr gut gesprochen, nur nicht so flüssig wie jetzt, nicht so geläufig. Und da hat sie gesagt, die Generaldirektorin vom Salon, sie müsste Mrs. Arden fragen, denn jetzt kommt ja mit den Feiertagen und alles, da brauchte sie jemanden – aber nur für die Feiertage. Da sage ich: „Wissen Sie, ich bin viel besser als nur für die Feiertage, aber bitte, ich würde es annehmen. Wieviel würden Sie bezahlen?“ Da sagt sie: „75 Dollar in der Woche.“ Da habe ich mir ausgerechnet, dass…ich wollte mir eine Wohnung nehmen…um eine Wohnung zu nehmen, muss ich 85 verdienen, mindestens. Und da sagte sie, ich soll nach drei Tagen wiederkommen. Nach zwei Tagen habe ich mir gedacht, ich warte nicht. Ich ziehe mich an, richte mich her, und ich werde ihr sagen, wenn sie 85 Dollar zahlt in der Woche, dann würde ich es annehmen. Ich gehe hin und sage ihr das. Und die hat gesehen, dass ich wirklich arbeiten wollte. Das kam dann zusammen, und dann habe ich die Erlaubnis bekommen und habe dort angefangen, zu arbeiten, als Verkäuferin. Ich habe die Weihnachtssaison gemacht und habe am meisten verkauft von den ganzen Verkäuferinnen. Und dann…also der Salon hat auf jedem Stockwerk einen Manager. Drei Stockwerke für Haare, eines für Gesichtspflege und für Epilation, eines für Gymnastik und Massagen, eines für Mode…da hat angefangen Óscar de la Renta. In einem Kleid von Óscar de la Renta hat man mich Frau Arden vorgestellt, weil mein Kleid war nicht gut genug dafür. Und das haben sie mir dann sehr billig verkauft, weil es mir so gut gestanden ist…und dann eines für Lingerie und dann natürlich die Produkte, die sie verkauft haben, unten im Salon. Und da habe ich gesehen, dass ich etwas mehr machen muss, denn wenn ich eine Wohnung haben will und zum Leben und alles…ich meine, sonst hatte ich immer nur das ganz genaue Geld…man muss doch etwas sparen, man muss doch etwas haben, wenn man krank wird, wenn irgendwas passiert. Und dann habe ich jemanden was gefragt dort, und sie sagte: “Learn the hard way, baby, the way I did.” Und da habe ich sie angeschaut und gesagt: “You know something? I will!” Und ich wurde ihre Chefin. Das war für mich ein Triumph, nach eineinhalb Jahren. Mrs. Arden hat in jedem Stockwerk ein kleines Büchlein gehabt, das sie geschrieben hat über ihre Produkte, mit denen sie reich geworden ist. Und diese Crème ist für das, und das ist für das, weil darum und darum, und dieses für jenes. Und ich habe mir das mit…ich meine, jeder konnte es nehmen, es war Propaganda.

 

2/00:15:30

 

Und ich habe es mitgenommen und habe es genau studiert. Denn als Verkäuferin…ich habe kaum was benutzt…Lippenstift. Und dann habe ich aber gewusst, als Verkäuferin, wenn du jemanden zu viele Sachen zeigst, dann kaufen sie nichts. Du musst ungefähr sehen, was für ein Typ, und dann zeige ihnen das, was ihnen am besten gefällt, drei Sachen…und genauso mit dem Lippenstift, die Farben. Diese finde ich schön, und diese und diese…also die ersten vierzehn Tage habe ich erstmal immer dieselben verkauft. Aber dann konntest du verkaufen. Dann haben sie ihr Rouge dafür gehabt und Nagellack…und dann habe ich doch die Cremen studiert: „Sie müssen unbedingt diese Crème haben, weil das und das.“ Ich habe genau das gesagt, was sie geschrieben hat. Und so hat sich das herumgesprochen, dass ich jedes Produkt gekannt habe. Da hat man mich angerufen von San Francisco, von überall im Land, von den Elizabeth Arden-Geschäften, die sie hatten, ob sie das und das in stock hatten. Ich habe alles gekannt. Weil es hat gegeben…wenn an einem Stockwerk…da hat man doch einmal in der Woche freibekommen, außer Sonntag. Sonntag haben alle freigehabt. An irgendeinem Wochentag oder einem anderen Tag, weil nicht alle konnten sich Samstag nehmen, weil die waren schon länger da. Mir war das ganz egal, ich habe ganz gerne einen Wochentag gehabt, dann konnte ich meine Einkäufe machen und so.

Und dann habe ich gesehen, dass ich, wenn ich die Augen offen halte, sehr viel lernen werde. Und dann hat man mir gegeben…überall wo ein Manager auf einem Stockwerk nicht da war, habe ich den ersetzt für den Tag. Das heißt, ich habe das ganze Geschäft gewusst, von Kleidung, von Lingerie, von den Produkten, weil ich habe ja jeden Tag woanders gearbeitet. Bei den Haaren haben sie andere Produkte verkauft wie auf dem für maquillage und so weiter. So habe ich ein großes Wissen gehabt, und ich habe ein gutes Gedächtnis. Und dann auf einmal wurden Sprachen wichtig. Wir haben einmal…das war eine Koryphäe aus Italien…einen make-up artist bekommen, das war der make-up artist von der Welt. Und da hat er Propaganda gemacht, und das musste in verschiedene Sprachen übersetzt werden. Und da haben sie gesagt: „Du sprichst Sprachen! Er soll es auf Englisch sagen, und du sagst es auf Deutsch und auf Spanisch und so weiter.“ Da habe ich erstmals was Neues gelernt, das hat lange gedauert. Die deutschen Worte sind lang, und die spanischen sind kurz. Also, da habe ich was gesagt, und auf einmal hat er schon was ganz anderes gemacht. So musste ich das so darbringen, dass ich sage, was da passiert, aber in der richtigen Länge, dass das da reinpasst, die Länge, wie er spricht. Das habe ich gemacht. Und dann habe ich eben kennengelernt all die verschiedenen Produkte und alles, was im Salon gemacht wird. Und jeder hatte Angst vor Mrs. Arden. Wenn sie gekommen ist und du hast gerade in dem Moment nichts gemacht, weil deine Kundinnen sind drinnen und das Telefon läutet nicht, hat sie gesagt: „Ich entlasse dich.“ Und der Generalmanager hat immer gesagt: „Ich nehme sie dann wieder zurück, denn sie weiß ja gar nicht“, sie war ja schon sehr alt, „wen sie entlassen hat.“ Aber es ist viel Arbeit, das mit dem Entlassen und so, und ich habe mir gedacht, ich bin alleine hier ausgewandert, ich habe die Arbeit alleine geschafft, ich habe keine Angst vor ihr. Was mache ich? Ich mache nichts. Aber klug musst du sein. Und wir hatten eine Telefonistin, die hieß Hilda. Denn ich hatte drei Telefone, und wenn etwas wichtig war, musste ich das andere freihalten. Wenn ich sie gesehen habe…ich meine, ich wurde…die Stockwerke sind wie eine halbe Straße lang. Es war groß. Wenn ich sie gesehen habe, war ich immer busy. Ich habe gesagt: “Hilda, she is here!” Und sie hat angefangen am Telefon. Dann hat sie gesagt: “Is she still there?” Wie steht es? Und ich habe gesagt: „Ja, die Kundin muss jetzt sofort genommen werden.“ Irgendwas, was ich gerade…

 

2/00:20:30

 

Und dann hat sie gesagt: “I am going to leave, because you are too busy. I do not want to bother you.” Naja, ich habe mein Geheimnis auch nicht den anderen gesagt, denn ich weiß nicht, die andere verrät mich, oder du kannst doch niemandem vertrauen. Jeder will eine höhere Position haben. Auf jeden Fall war ich unter anderem an ihrem Lieblingsstockwerk, also wo maquillage und Gesichtspflege und Enthaarung und das gemacht wurde, und dieser make-up artist, der berühmte. Und Mrs. Arden ist gekommen, und da war ein Manager, und sie ist noch nicht weggegangen…ich weiß nicht, wie es war. Sie war noch immer da. Ich glaube, es war ein Feiertag, und unten waren die Paraden, die immer vorbeimarschiert sind, die verschiedenen Paraden von New York. Und sie kommt rein, und es war eine Irländerin, bildschön, naturrote Haare, auch groß, schlank. Die wurde ganz durcheinander und ist einfach…hat ihre Tasche genommen und ist weggegangen und zwei Stunden nicht zurückgekommen. Ich war ja da, aber ich konnte nicht mal essen gehen. Natürlich hat man das dem general manager gesagt, und sie hat gesagt, sowas kann sie nicht haben, hat sie entlassen und hat mich gefragt, ob ich der Manager von diesem Stockwerk sein will. Und ich habe gesagt: „Ja.“ Und da konnte ich es mir dann leisten, eine Wohnung zu mieten, weil ich dann…mein Gehalt hat sich verdoppelt. Aber du musst eben auch wissen, wie du die Leute behandelst. Ich kann mich erinnern, einmal ist Mrs. Arden gekommen. Sie war zu eitel, um Brillen zu tragen, und die anderen…die waren noch nicht modern, die--

EL: --Kontaktlinsen?

AL: Ja, die waren noch nicht modern. Und ich habe…ich esse Schokolade und solche Sachen leidenschaftlich gerne, und die Mädeln, die wollen mich doch in guter Laune haben, denn ich habe ihnen viel Geld gemacht. Weil die waren…wie sagt man rational…an Prozenten, wenn man was verkauft hat?

EL: Provision?

AL: Provision. Sie hatten Provisionen. Und da habe ich gesagt: „Mach’ nur deine Arbeit. Gib mir den Zettel mit was du der Dame verkaufen wolltest, und ich mache das. Du kannst die Kundin machen, und ich habe momentan nichts zu tun, ich mache das.“ Dann aber, wenn ich Zeit hatte, dann habe ich noch mehr verkauft. Ich habe gesehen, dies und das: „Was? Sie haben noch nicht unsere Creme soundso probiert?“ Und auf einmal habe ihr zehn Produkte verkauft statt drei. Und sie hat die Provisionen bekommen. Und außerdem habe ich gemacht…jeder, habe ich gesagt, war ein VIP für mich. Das waren so reiche Leute, alles. Und da ich nicht wusste, wer reich war und wer nicht reich war, habe ich mir gedacht, ich behandle alle gleich. Wenn du ein Jahr gespart hast, um einen Tag in Elizabeth Arden zu verbringen, so verdienst du es genauso wie die andere, die einfach Geld nimmt und es ausgibt. Das ist eine Prinzipsache. Und so habe ich, wenn eine Kundin angerufen hat, sie will eine Gesichtsmassage mit Frau soundso haben, dann habe ich gesagt: „Sie ist leider jetzt voll beschäftigt heute, aber geben Sie mir die Telefonnummer, und ich werde Sie anrufen, wenn ich sehe, es eröffnet sich was.“ Manchmal hat sich was eröffnet, dann habe ich gesagt: „Können Sie dann und dann da sein?“ – „Ja, ich kann es jetzt bekommen.“ Wenn ich aber nichts freihatte, habe ich sie trotzdem angerufen und habe gesagt: „Schauen Sie, heute ist es unmöglich, leider…ist es unmöglich. Aber wie wäre es morgen oder übermorgen?“ Ich meine, es waren Kunden wie Mrs. [Jacqueline] Kennedy, die Frau vom Präsidenten, seine Schwestern, ich habe Schaupieler gehabt, ich habe die Marlene Dietrich gehabt und die Ginger Rogers, alle…Eva Gardner, alle möglichen. Wenn du sie gesehen hättest ohne maquillage und nichts, hättest du die meisten nicht erkannt. Auf jeden Fall habe ich dadurch immer volle Arbeit für mein Stockwerk gehabt. Es war immer voll. Und ich habe alles alleine gemacht. Ich habe nur jemanden gehabt an dem Tag, wo ich freihatte.

 

2/00:25:00

 

Und dann natürlich, nach Jahren…Mrs. Arden ist gestorben, dann war das nicht mehr dasselbe. Ich war todunglücklich, denn da ist jemand gekommen von Macy’s als general manager, mit den Füßen auf dem Schreibtisch und Zigarre rauchen und steht nicht mal auf, wenn man reinkommt, und bietet einem nicht an, Platz zu nehmen oder was. Und das wurde dann ganz anders, und da war ich gar nicht mehr glücklich. Da war ich sieben Jahre, auf jeden Fall. Und da habe ich sehr viel gelernt. Denn ich bin auch einige Komplexe losgeworden, denn jeder kann schön sein. Du hast wunderschöne Augen, und wenn du sie noch ein bisschen herrichtest, bist du spektakulär. Die schönsten, die man so schön sieht in allen…ich meine, die meisten sind gar nicht so schön. Andere sind schon alt und runzelig, und wie das fotografiert wird, da sieht man das gar nicht. Und, dass nicht alles äußerlich ist, sondern man bringt auch einen Charakter mit sich, irgendeine Personalität. Wenn jemand Personalität hat, kann sie sogar hässlich sein und kann was aus sich machen. Ja, und dann bin ich so beim einen gewesen, beim anderen…es hat mir nichts gefallen in der Kosmetik. Und dann ist meine Nichte, die der Liebling meiner Familie war…für mich war sie mir das Liebste…sie ist leider vor sechs Jahren an Krebs gestorben. Und sie hat geheiratet, der erste…weil sie hat dreimal geheiratet. Wenn etwas nicht gepasst hat, dann aus. Aber es war ihre erste Hochzeit, und ich habe gesagt, ich werde fahren, und da hat mir die damalige Chefin gesagt, also die Besitzerin…es war ein anderer, auch so ein Salon…Christine Valmy, eine Rumänin. Also die ganzen Rumänen können mir gestohlen bleiben, das Land will ich nie besuchen. Das sind ungefähr Leute, die die letzten sind, die in eine drehbare Türe gehen, und zuerst herauskommen…so ungefähr…nichts ehrlich an denen. Und da hat sie gesagt: „Ja, dann würde meine Arbeit nicht wieder auf mich warten.“ Da habe ich gesagt: „Danke, sie braucht nicht auf mich warten.“ Fertig, ich bin gefahren, bin zurückgekommen und habe keine Arbeit gehabt. Aber ich habe gespart und habe angefangen, es anzulegen. Ich meine, außerdem…weil sie mich ja entlassen hat, musste sie mir sechs Monate bezahlen, weil sie mich entlassen hat.

Und den ersten Sonntag, wo ich zurückgekommen bin, habe ich die New York Times gelesen und gesehen, dass man sucht. Da haben sie jemanden gesucht, der Englisch, Deutsch und Französisch spricht. Da habe ich mich gemeldet. Ich bin natürlich gekommen von Elizabeth Arden, mit meinem schönen Elizabeth Arden-Kleid, sehr schön meine Haare, alles perfekt – so wie jetzt. Und die anderen sind gekommen wie arme Leute, so ungefähr, dass du ihnen eine Almose gibst. Und ich habe das schon gemerkt, also wie er die anderen genommen hat, reingeführt, fertig. Mir hat er den Mantel abgenommen, hier und das und jenes und Kaffee, ob ich was haben will. Auf jeden Fall war es der Anfang vom Massentourismus in Amerika. Und nach dem Krieg, wo die Deutschen so viel Geld gemacht haben, hat eine englische Firma, Travels International, einen Kontrakt mit Pan Am [Pan American World Airways], dass sie jede Woche Charterflüge bringen, von Deutschland, und das sind fünf Tage, die sie bleiben, und das ist ein Pauschalpreis mit einer Stadtrundfahrt. Und dann hat man fakultativ hier verkauft die anderen Tage, was wir bieten. Was weiß ich, eine Nachttour oder eine Tour nach Washington. Da sind wir einen Tag nach Washington gefahren, da bin ich um fünf Uhr aufgestanden und bin um Mitternacht wieder zurückgekommen, so ungefähr. Ich meine, nichts ist mir leicht gefallen. Auf jeden Fall haben wir das gemacht. Wir haben alle neu angefangen. Keiner wusste, was er machen sollte. Nun, im Organisieren habe ich Talent gehabt. Ich hatte schon einen Salon in Buenos Aires, und die letzte Arbeit in Buenos Aires habe ich als Inspektorin für Etam gehabt. Das sind Geschäfte für Damen, die es auf der ganzen Welt gegeben hat. Und da gab es 36 oder was in Argentinien. Und ich war die Inspektorin und musste in die verschiedenen Provinzen fahren. So habe ich ganz Argentinien kennengelernt.

 

2/00:30:25

 

Wo es kalt ist, da verkauft man gewisse Wolle nicht, und so weiter. Also auf jeden Fall habe ich schon Talent gehabt, dass ich Organisation machen kann und so und sehe, was da gemacht werden muss. Und so nach zwei Wochen kam ein Journalist von der New York Times und hat gefragt, was das wäre. Er würde gerne einen Artikel darüber schreiben. Wir hatten bisher nur…es sind reiche Leute gekommen, haben nach Amerika eine Reise gemacht, oder die Emigranten, aber Tourismus per se hat nicht existiert. Und die haben ja auch nichts gewusst. Keiner wusste etwas. Alles, was ich gemacht habe, war gut, wenn es erfolgreich war. Ich habe verkauft, fakultativ, Ausflüge. Wir hatten…Charters konnten sein von 180 Leuten bis 450. Die waren dann alle in einem Hotel, und jemand musste die Oberaufsicht haben, die ich dann hatte, und die anderen haben für mich gearbeitet, und wenn etwas war, was ich auch machen musste, dann habe ich das auch noch dazugetan. Und da hat er gesagt, er würde gerne darüber schreiben. Und da sagte man: „Sprechen Sie mit Alicia.“ Jeder nennt mich Alicia, weil schon von Elizabeth Arden an haben die gefragt: „Das ist so ein schöner Name, können wir dich Alicia nennen, nicht beim Nachnamen?“ – „Ja, sicher!“ Und so hatte ich Propaganda. Wenn etwas gemacht wurde, war die Alicia da, auch bei American Express nachher – das war dann schon von Reisen, später. Und da hat er gesagt: „Geh’ mit, Alicia. und frag sie was auch immer. Fahr’ mit auf die Reisen, und dann wirst du sehen, was wir hier machen.“ Und das habe ich gemacht. Ich hatte aber für die Stadtrundfahrten keine Lizenz. Ich habe sie nur gemacht, weil niemand ist erschienen, und jemand musste die Arbeit machen. Und ich war die einzige von New York, und da habe ich die Arbeit gemacht und dadurch die Stadtrundfahrten auch gemacht. Ja, und der hat dann einen Artikel geschrieben, erste Seite von der Reiseabteilung, und da hat mich American Express kontaktiert. Die haben die Luxusreisen gemacht. Und dann war das ein ekelhafter Kerl, der hat mir nicht zugesagt, und dann habe ich gesagt, nein, für ihn würde ich nicht arbeiten. Der wurde aber zufällig…ich meine, er war wirklich ein unglücklicher Mensch…der wurde von American Express entlassen, und da hat man mich wieder kontaktiert, und ein sehr netter Mann, ein Italiener, mit dem wir gute Freunde geworden sind, hat gesagt, ich soll kommen, mich vorstellen. Da habe ich gesagt: „Ja, aber ich würde gerne ganz Amerika bereisen wollen, und ich will die ganze Welt bereisen, und ich will Südamerika machen.“ Ich will, ich will, ich will…und er hat mir gegeben, gegeben, gegeben. Und so bin ich heute noch in diesem Beruf, wo ich nicht eine Angestellte bin, sondern einfach eine Mitarbeiterin. In American Express, Gott sei Dank, war ich auf ihrer payroll. Wenn du auf der payroll bist, das ist gut, wenn du pensioniert wirst, weil dann kriegst du mehr. Weil sonst…das zeigt ja nicht…das ist ja nicht viel Geld, was du verdienst, was nicht so öffentlich ist.

Ja, und so war ich sehr erfolgreich. Jahrelang war ich die beste Tourmanagerin worldwide…das habe ich alles schon weggeworfen. Ich habe Schilder bekommen und Geschenke, und die haben mich wirklich sehr gut behandelt. Und ich konnte wirklich sparen, weil ich auf den Reisen effektiv kaum etwas ausgegeben habe. Ich meine, ich habe meine Wohnung gehabt, musste meine Miete bezahlen. Irgendwo muss man ein Heim haben. Darum habe ich keine größere Wohnung genommen, weil das für mich ein Luxus war. Ich bin 25 Jahre lang gereist, zehn Monate im Jahr. Was brauchte ich etwas Größeres wie ein Studio haben? Jetzt hätte ich gerne noch ein Schlafzimmer, aber das sind dann 3.500 Dollar, da sage ich, für den Unterschied kann ich sehr schöne Reisen machen. Und ich habe jetzt, nachdem ich so krank war, gesagt…ich habe nie gerne gekocht…ich werde nicht kochen. Wenn ich Leute einladen muss, da gibt es Restaurants, und ich soll womöglich nur alles machen, was ich gerne mache. Und wenn es mir keinen Spaß macht, dann mache ich es halt nicht. Und wem meine kleine Wohnung nicht gefällt, der braucht überhaupt nicht zu kommen. Und ich habe mir gedacht, wenn es so sein sollte, dass ich Pflege brauche und ich brauche noch jemanden, der da wohnt, dann ist es zu klein, dann werde ich dann irgendwas anderes nehmen. Dann habe ich nicht so viele Jahre zu bezahlen, und wenn nichts übrig bleibt, dann ist es auch gut.

 

2/00:35:50

 

EL: Ich habe noch kurz ein paar Fragen. Geht es noch?

AL: Ja.

EL: Von früher noch, was mir nicht ganz klar war, diese Geschichte, die Sie erzählt haben von dem alten Mann, wo ihr Vater eingreifen wollte. Wo war das genau? War das noch in Güssing?

AL: Das war in Güssing.

EL: Und was wurde da gemacht?

AL: Ich weiß nicht. Alle Juden mussten sich treffen. Wir waren an der Hauptstraße. Und da mussten sie hinkommen. Die anderen waren in irgendeiner Nebenstraße. Das Geschäft war gerade an der Hauptstraße, und ich weiß ja nicht, warum wir da hinkommen mussten. Ich weiß nicht, weil als der den alten Mann gepeitscht hat…ich habe nichts anderes kapiert. Ich weiß nicht, warum wir uns da getroffen haben. Es war in Güssing, und es war wie ein Hauptplatz, an der Hauptstraße. Weil alle da waren, und wir waren wie in einem Kreis und der ihn gerufen hat…jetzt weiß ich nicht, ob einige von denen einfach deportiert wurden. Ich weiß das nicht. Weil mit meinen Eltern habe ich nicht darüber gesprochen. Wir haben überhaupt getrachtet, nicht über diese Zeit zu sprechen. Und vielleicht wäre es gut gewesen, dann darüber zu sprechen, wo meine Eltern mehr wussten und mir vielleicht Aufklärung hätten geben können. Aber die haben es selber sehr schwer verkraftet. Meine Eltern sind effektiv als Emigranten gestorben. Sie waren immer Emigranten. Sie haben sich nie zuhause gefühlt. Wahrscheinlich hätten sie sich in Amerika mehr zuhause gefühlt, weil sie mehr Verwandte und Bekannte hatten von vorher und auch weil das Englische dem Deutschen näher ist als Sprache und weil die Lebensweise, das Niveau ganz anders war. Und wo sie sich…einer hätte dem anderen mehr helfen können. Ich meine, ich weiß nicht, was total akkurat ist. Etwas ist…was mir von der ganzen Sache da bleibt, ist die Erinnerung.

EL: Ihr Großvater ist ja dann in Wien. Was ist mit ihm geschehen?

AL: Er ist, Gott sei Dank, zwei Monate…im November von demselben Jahr…wir sind am 10. Oktober angekommen in Argentinien. Im November ist mein Großvater, Gott sei Dank, gestorben. So ist er…natürlich…und meine Großmutter, seine Frau, ist dann mit meinem reichen Onkel ins KZ gekommen. Ich war mit einer Gruppe in Prag. Ich war zweimal in Prag, einmal auf eigene Rechnung – da war ich zehn Tage – und einmal mit einer Gruppe. Und mit der Gruppe war eingeschlossen, dass wir nach…es war eine jüdische Gruppe…nach Terezín kommen, also das ist Theresienstadt. Und ich wusste, dass da erst…dass sie dort zuerst waren, aber dann weiß ich nicht genau, in welchem KZ sie umgekommen sind. Ich glaube, es ist in dem Museum eingetragen von Washington. Als es eröffnet wurde, war ich damals öfter in Washington, bin natürlich hingegangen. Und als ich die ganzen Namen gelesen habe, ich habe so geheult. Und da war ein älterer Mann da, der war ein Wächter, und der hat mich getröstet. Und da sagte er, ich soll mich nicht schämen, es passiere vielen Leuten und so weiter. Aber es ist ja egal, in welchem sie waren. Und in Theresienstadt, da bin ich nicht mal reingegangen. Es war ein wunderschöner Tag, und es war so schwer, sich vorzustellen, dass so schlechte Sachen dort passiert sind. Und dann war ich einmal mit einer Gruppe in Deutschland, in München, und dort ist Dachau. Und das war nicht inbegriffen, war auch keine jüdische Gruppe, sondern es war fakultativ. Und natürlich, ich war mit der Gruppe da, aber fakultativ muss ich nicht mitgehen, wenn es nicht…also dort bin ich nicht reingegangen, ich bin einfach draußen geblieben. Ich habe von jüdischen Leuten, wo ich in Synagogen war und alles…wie ich noch jünger war, war da ein Tanz, und da war ich, und dass Leute mich nicht aufgefordert haben, weil sie gedacht haben, ich bin keine Jüdin. So hatte ich Diskriminierung von Juden, weil sie gedacht haben, ich bin keine Jüdin. Und das hat mich auch sehr aufgeregt, weil wie kann man annehmen…wenn du mich auf der Straße siehst, sagst du: „Ist das eine Jüdin?“

EL: Da denke ich nicht dran.

AL: Da denkst du nicht dran. Und mir ist das auch ganz egal, was du bist…außerdem.

 

2/00:41:18

 

Ja, und dann bin ich nach Dachau nicht gegangen, und da sind die Leute zurückgekommen, und sie fangen an, mir zu erzählen, und natürlich habe ich nicht drauf reagiert. Und eine sagt: “Just imagine! They did not even have a coffee shop.” Und da bin geplatzt. Da sagte ich: “Do you think that the people that were there…did they have a coffee shop? What do you think that Dachau is? What they did there?” Keine Ahnung…keine Ahnung von…aber das hat mich so aufgeregt…not even a coffee shop…stell’ dir mal vor.

EL: Ja, ich verstehe.

AL: Als ob das lebenswichtig wäre, einen coffee shop dort zu haben. Sonst noch etwas auf der Liste?

EL: Waren Sie irgendwann wieder in Österreich?

AL: Ja. Ich war das erste Mal…ich weiß nicht, vor vielen Jahren. Es sind mindestens…zwanzig, 30 Jahre…ich weiß nicht, vor langer Zeit. Da hat der Cousin noch gelebt, von meinem Vater, der inzwischen…auch seit mindestens zehn Jahren verstorben ist, oder was…noch länger. Und dann habe ich mich mit seiner Frau angefreundet. Aber das erste Mal habe ich eine…da habe ich noch bei Travels International gearbeitet, und die haben gesagt: „Willst du nicht nach Deutschland fliegen? Es ist umsonst.“ Ich meine, das Flugzeug…du gehst mit einem Charter zurück, und mit dem anderen kommst du wieder. Da habe ich sofort Ja gesagt und habe dann eine Reise gemacht und bin dann von…in Frankfurt angekommen, habe mir das angeschaut. Dann war ich in München und Umgebung und habe mir die heiligen Schlösser von dem…verrückten Ludwig, dem bayrischen König, der die schönen Schlösser gebaut hat. Und mir ist lieber, er baut Schlösser und macht keine Kriege. Er soll so sein Geld ausgeben…ist mir lieber. Und ich bin dann über…dann war ich in Innsbruck und in Salzburg und dann nach Wien, und von Wien bin ich nach Güssing. Ich konnte es aber nur…ich war nur eine Nacht. Ich konnte es nicht verkraften. Und meine Cousine hat das verstanden. Wir sind zu Fuß damals auf den Schlossberg gegangen und alles, hatten eine wunderschöne Zeit, aber ich konnte mit niemandem sprechen, ich konnte niemanden ansehen. Das war das erste Mal. Und dann habe ich mich mit ihr befreundet, und sie hat mich eingeladen ein anderes Mal, dass ich kommen soll für drei oder vier Wochen mit ihr. Und dann hat sie gesagt: „Komm’, gehen wir nach Güssing! Ich bin mit dir, und ich werde dich unterstützen. Und ich habe mit dem Apotheker gesprochen, dass er dir das Haus zeigt.“ Der hatte in der Wohnung gewohnt, wo wir sind. Das habe ich ja das erste Mal nicht besucht, sondern das Haus. Die haben das Haus, das sie geerbt haben vom Großvater, von irgendjemandem, dem der Papa es verkauft hat. Und, dass er mir das Haus zeigen wird, und alles hat sie schon prepariert. Und dann hat sie auch eingeladen, weil Leute gehört haben, dass ich da war. Und die haben meine Eltern gekannt und mich als Kind gekannt und so. Und so habe ich gesagt: „Aber nur mit der Bedingung, wenn ich weg will, dass ich weg kann.“ Aber sie ist überall mit mir hingegangen. Aber dann inzwischen ist auch etwas ganz, ganz Eigenartiges passiert. Ich bekomme eine Gruppe, und da sagen sie mir: „Du musst die machen, das sind Österreicher, das sind Politiker.“ Gut, also ich komme in das Hotel, und eine Dame empfängt mich, das wäre ihre Gruppe. Da sage ich: „Woher aus Österreich kommen Sie?“ Da sagt sie: „Das werden Sie nicht kennen.“ Da sage ich: „Wo ist es?“ – „Ach, ganz in der Nähe von Ungarn.“ Da sage ich: „Kennen Sie Güssing?“ Da sagt sie: „Ich bin aus Güssing, und der Bürgermeister von Güssing ist auch in unserer Gruppe.“ Natürlich war das ein großes…ich bin die einzige guide, die sie je getroffen haben, die aus Güssing kommt.

 

2/00:46:01

 

Er war sehr nett, und dann hat er gesagt, wenn ich komme, wird er die Fahne haben auf dem Rathaus, und ich soll kommen und so weiter. Und ich war dann noch einmal da…ja, ich glaube, das war das zweite Mal, und das war ein Tag, da waren alle mittelalterlich gekleidet, und es war ein Fest, ein irgendwas--

EL: --ein Mittelalterfest.

AL: Ja, so ein Mittelalterfest. Und da haben sie getrunken, und ich musste lachen, weil da war Uhudler. Und da fande ich das Wort so komisch, und ich fand die ganzen Namen von den Dörfern…[Deutsch] Tschantschendorf und all diese…das fand ich wahnsinnig komisch. Aber ich habe das…natürlich habe ich das von meinen Großeltern und Eltern gehört. Also ich bin gekommen, und wir gehen auf das Fest, und es war natürlich der Bürgermeister dort. Und ich gehe hin, er gibt mir den Rücken, da sage ich: „Die Fahne ist nicht gehisst.“ Also der ist fast umgefallen, der hat sich so gefreut. Er hat mich allen vorgestellt, er hat mich eingeladen ins Rathaus, eine Jause gemacht, und Bücher hat er mir geschenkt über…wo die Geschichte von meinen Eltern auch ist und Fotos von meinem Vater und Großvater, wie sie jung waren, was weiß ich, auf einem Abendessen, wo der Otto von Habsburg gekommen ist…also ganz groß. Ja, und dann durch sie, dass ich gesehen habe, dass sie wirklich mich sehen wollten wegen mir und nicht aus Neugierde, dass ich da zwei Hörner habe oder irgendwas anderes. Und sie hat mir auch gesagt: „Morgen kommt einer, der war ein schrecklicher Nazi, aber dann war er wieder normal, nur dass du weißt.“ Und dann, wo ich es gewusst habe, habe ich das alles sehr ironisch genommen.

Und immer habe ich meiner…natürlich, wie das mit dem Bild gekommen ist, dann hat ein Journalist darüber geschrieben, in der Zeitung, und ich habe ihn angerufen und habe ihm gesagt, das hat mich sehr interessiert, was er da geschrieben hat über die gestohlenen Bilder und, dass das eine Schweinerei wäre und alles das, dass das Land nichts dafür getan hat und alles. Und er hat dann gesagt, er wird ein Interview machen. Er hat 50 Fotos von mir gemacht. Hätte er mir eines davon bringen können, das hätte ich dir lassen können. Auf jeden Fall war der da, und dann natürlich die, die Bücher geschrieben haben, die haben mich kontaktiert, und sind ganz liebe, junge…für dich nicht mehr so jung, aber die sind alle, was weiß ich, 40, 45, 35 Jahre alt. Das sind alles jüngere Leute. Und durch den einen und den anderen und die wollten mich kennenlernen, und der hat über mich geschrieben und der andere. Und da war ich dann im Radio, und ich war im Fernsehen. Da hat mich angerufen der, der jetzt kommt, der Herr Lehner, vom ORF.

EL: Okay, da weiß ich jetzt nicht, wer das ist.

AL: Das ist Fernsehen aus Österreich.

EL: Ja, genau, aber den kenne ich nicht.

AL: Ja, also der kommt jetzt im November, und der hat mir ein Interview damals gegeben, und jetzt will er ein anderes haben, weil er einen Film dreht über das Judentum vom Burgenland. Und viele werden da nicht übrig sein. Aber ich freue mich, denn ich meine, ich führe das, weil die jungen Leute das wissen müssen…das wenige, was ich weiß, weil ich klein war. Aber andere waren so klein, die können sich an nichts erinnern. Nicht, dass ich mich gerade freue, dass ich mich daran erinnere, aber es ist ein Teil von mir. Und darum, jetzt dann…ich habe mich versöhnt mit vielen Sachen im Leben…mit meiner Schwester, die uns immer behandelt hat wie die armen Leute, als wenn wir nicht zusammengehörten. Aber wie ich dann schon alleine in Amerika war und es geschafft habe, dann hatte ich den Mut, einfach mit ihr zu sprechen. Und ich habe ihr gesagt: „Jetzt sprechen wir über das, weil du musst das wissen.“ Das war schon…fünf, sechs Jahre bevor sie gestorben ist. Sie war immer auf mich neidisch. Ich weiß nicht, warum. Ich meine, wenn ich ein Baby war…sie erzählt mir, wie sie mich gehasst hat als Baby. Da sage ich: „Renée, wir sind zwei alte Damen. Was denkst du dran, dass du mich gehasst hast, wo ich ein Jahr war? Ich war ein kleines Butzerl, ich habe noch nicht denken können. Du hast mir wahrscheinlich die schrecklichsten Sachen gesagt, und ich habe gelacht. Ich meine, Schwamm drüber! Es muss zu Ende sein. Du hast deine Fehler gemacht, aber ich will dir nur sagen, wie ich mich gefühlt habe, was wir uns nie gesagt haben.“ Das habe ich ihr gesagt. Da sage ich: „Und nachdem wir das heute besprochen haben, werden wir nie wieder über das sprechen. Ich will nicht mehr hören, dass du sagst, du hasst mich, wie ich ein Jahr alt war. Ich will es nicht hören. Du musst darüber hinweggehen.“ Und so bin ich auch mit Güssing, dass ich gerne jetzt hinfahre.

 

2/00:51:36

 

EL: Also Sie fahren noch öfter?

AL: Ich war voriges Jahr da. Und dann gehen wir irgendwohin, wo wir sehr gutes Obst kaufen, und die machen auch…da ist auch eine Fabrik, die macht Nockerl und solche Sachen, die ich mir manchmal mitbringe. Und mit meiner Cousine…sie macht es mir so gemütlich und so leicht, weil sie hat so viel Charakter, und sie ist ein so lieber Mensch, dass sie mir geholfen hat, drüber wegzukommen, und arrangiert hat, dass ich mit diesen Schulkollegen zusammen eine Jause habe und was nicht. Und ja, wenn dann alle, die gekommen sind, von der Zeitung, das war für sie sehr aufregend. „Du“, sagt sie, „so ein aufregendes Jahr habe ich nicht gehabt, wie mit dir in dem einen Monat.“ Dann hat sie natürlich das schöne Geschirr und das Silber und alles, da sage ich: „Du, bring’ heraus das Silber und das Herend [ungarische Porzellanmanufaktur] .“ Weil das ist schönes Service, aus Ungarn. Dann sollen die Leute sehen, dass es uns gut geht. Ich will nicht, dass sie denken, dass wir, weiß Gott, verkommen sind. Ich meine, die Schulkinder, die haben mich nicht gehasst, die waren normale Menschen, haben dort gelebt und haben es eben durchmachen müssen, wie viele im Krieg. Das heißt nicht, dass alle Nazis waren. Aber wir wissen, wer war…und trotzdem sie gekommen sind und mich sehen wollten und begrüßt haben, war ich ein bisschen hochnäsig mit ihnen.

EL: Ja, natürlich.

AL: Ich habe es geschafft. Ich brauche sie nicht mehr. Ich bin nicht mehr auf sie angewiesen. Und die haben es auch genommen, wie solche, die sich gern prügeln lassen, oder sagen wir, die feige sind, wenn sie nicht etwas im Rückgrat haben, jemand der sie unterstützt.

EL: Und dieses Mädchen, das gemein war zu Ihnen, bevor Sie weggefahren sind, haben Sie die auch gesehen?

AL: Ja.

EL: Die war auch da?

AL: Die war…nein, die sind verschwunden. Nach dem Krieg, man weiß nicht was…die sind einfach verschwunden, hat man mir erzählt. Und die hieß Hanna, und wir haben immer gelacht, weil die Mutter, wenn sie gerufen hat und sie hat ihr ein Ei gemacht…hat sie immer gesagt: „Hanna, Hanna, komm’ schnell! Ich habe ein [unklar]!“ Für uns, ein [unklar], was für ein Blödsinn ist das?

EL: Hieß das Ei, oder was?

AL: Ja, das Ei.

EL: Und haben Sie Geld von Österreich bekommen, jetzt?

AL: Ich habe bekommen…jetzt soll ich wieder bekommen. Das ist etwas, dahinter bin ich schon so viele Jahre, ich weiß es gar nicht. Und da sollte ich bekommen, nach der…stell’ dir mal vor: Die Dollars von [19]38 sind nicht die Dollars von jetzt. Ich meine, damals waren 100.000 Dollar sehr viel Geld. Während heute…ich weiß nicht, ich einmal bekommen 10.000, 12.000. Ich habe eine kleine Pension. Ich habe ja nicht gearbeitet, aber das ist wie als Unterstützung. Aber das, was ich jetzt verfolgt hatte, das sollte das Ende werden, wo ich nicht wusste, wo das Geld war und alles. Alles, was in der Wohnung war…alles ist weg, alles! Das Lager, das…alles. Was mein Vater zurückbekommen hat, war nur das Haus, was er verkaufen konnte. Aber das war ja voll mit Sachen, das Haus. Und eine Versicherung haben sie sicher gehabt. Sie geben mir jetzt eine Entschädigung, und da haben sie ausgerechnet, dass es ungefähr, ich weiß nicht, etwa 150.000 Dollar, jetzige Dollar, sein würden. Aber dann ziehen sie davon ab, weil sie hätten nur 250 Millionen Dollar zur Verfügung bekommen für alle, die sich da gemeldet haben, und da hatten sie nicht genug Geld, sodass sie von jedem abziehen mussten, sodass ich 18.000 Dollar davon bekomme. Und das kann mich natürlich ärgern.

EL: Das ist ja viel zu wenig für das Ganze.

AL: Das heißt, das ist…ja, und meine Schwester ist inzwischen gestorben.

[Aufnahmefehler.]

 

2/00:55:59

 

[Übergang/Schnitt.]

 

EL: …nie weitergeführt?

AL: Er hat…da sind ja immer Papiere gekommen, die musste man ausfüllen und reinschreiben. Und auch, wenn ich geschrieben habe: „Ich weiß nicht, ich weiß nicht.“ Aber ich habe es eingeschickt und hatte eine…wie sagt man das…also, dass ich für meine Schwester unterschreiben konnte.

EL: So eine Vormundschaft oder sowas.

AL: Ja, sowas. Denn meine Schwester war total…sie konnte nicht einen Scheck unterschreiben. Ihr Mann hat sie gehabt…ihr hat er soviel gegeben, und du brauchst nichts, und du brauchst keinen Scheck, du brauchst nichts…sie wusste nicht, wie man es macht. So habe ich ihr diese Sachen erledigt und habe für sie geschrieben, also ihren Namen und alles. Dann ist sie gestorben, und ich schreibe, dass sie gestorben ist. Und ich habe gesagt, der einzig Überlebende ist ihr Sohn Carlos David in Buenos Aires, die Adresse soundso. [Aufnahmefehler.]

 

[Übergang/Schnitt.]

 

…du, aber jetzt habe ich schon so lange gemacht, und ich habe mir geschworen, dass ich so lange leben werde, bis ich die Wiedergutmachung endlich beendet habe. Ich hätte mir nie gedacht, dass ich überhaupt etwas bekomme. Für mich war das…ich bin froh, dass ich so viel bekommen habe, denn wenn sie sagen, sie können mir nicht mehr geben…und das ist natürlich jetzt das Letzte, das sie machen, 50 Jahre zu spät. Und du kannst mir nicht sagen, dass sie das Geld nicht hatten, um jedem alles zurückzugeben.

EL: Nein.

AL: Das kann ich nicht glauben. Aber nachdem ich nichts machen kann und ich keine Beweise habe, genauso wie ich von meinem Onkel…wir haben nichts bekommen, weil die Schweizer geben nichts. Sie haben gesagt, sie haben kein Geld.

EL: Von seinem Geschäft?

AL: Ja, und dort wäre sehr viel Geld gewesen…alleine Geld. Ich bin schon darüber hinweg. Ich habe es alleine fertig gebracht, mich zu erhalten, und mir geht es…ich meine, ich bin nicht in fantastischer Situation, aber es geht mir nicht schlecht, und ich kann mich nicht beklagen. Ich habe mehr als genug, mit dem mein Leben zu führen. Ich bin immer einfach, ich habe nie das Geld rausgeworfen, weil ich nicht daran glaube, sondern nur was ich eben…ich kaufe mir schon irgendwas. Und für das Geld, was ich bekomme, werde ich mir etwas sehr Luxuriöses leisten. Das ist, bei der nächsten Reise nach Argentinien werde ich business class fliegen, nachdem ich Schmerzen habe und alles. Das ist etwas, das für mich etwas Besonderes ist.

EL: Ja, klar.

AL: Noch ein Kleid…ich habe so viele Sachen, meine Schränke sind voll. Ich meine, meine Wiedergutmachung…die Deutschen haben so viel bekommen. Meine Schwager hatte eine Pension von 1.500 Franken. Ich habe eine Pension von 300, damals Schilling, und dann jetzt Euro. So lasse ich mir das jede sechs Monate kommen, weil wenn ich 300 Dollar habe…das gibt man für Essen aus. Aber wenn ich aber das mehr habe, dann sage ich: „Das ist für eine Reise.“ Da mach’ ich dann meine speziellen Sachen. Und das ist jetzt erst gekommen. Ich habe jetzt erst geantwortet. Ich habe noch einen eingeschriebenen Brief, da habe ich zwölf Dollar dafür ausgegeben, dass sie ja nicht sagen können, er wäre nicht angekommen. [Beide lachen.]

EL: Das ist gut.

AL: Nein, die Österreicher haben sich drauf versturt, sie wären das Opfer gewesen. Und ich habe gesehen, wie sie mit offenen Armen die Nazis empfangen haben. Also das ist eine Tatsache. Und dann haben sie sich als Opfer gegeben, sie wären auch das Opfer der Deutschen gewesen. Sie waren ein freiwilliges Opfer.

EL: Ja.

 

2/01:00:04

 

AL: Hast du Geschwister?

EL: Ja.

AL: Wie viele?

EL: Eine Schwester.

AL: Älter oder jünger?

EL: Älter…34. Ich habe nur eine abschließende Frage.

AL: Ja.

EL: Die Geschichte mit dem Bild habe ich nicht ganz verstanden. Ein Bild von Ihnen zuhause ist weggekommen, oder wie war das?

AL: Nein. Was von uns zuhause war, ist alles gestohlen worden. Und dann…die Deutschen waren sehr exakt, das muss man ihnen lassen. Überall haben sie Buch geführt. Und da haben sie ein Buch gefunden, und das war alles Eigentum der Juden, aufgezeichnet die Namen, Herr Aladar Latzer, Bild soundso und soundso, genau beschrieben. Die einzige Beschreibung, die ich vom Bild habe, ist von da, weil ich mich an kein Bild erinnern kann. Ich meine, jetzt könnte ich mich erinnern. Ich habe mir das Bild gut angesehen, und dann werde ich…ich weiß, dass ich das Bild irgendwo gesehen habe. Vielleicht nicht hier, aber ich erkenne Bilder von einem anderen Museum…weiß ich…ein Bild, das ich in Amsterdam gesehen habe, und jetzt kommt es ins Metropolitan Museum. Ich will es mir nochmal ansehen. So, also ich meine, ich weiß, ich habe es gesehen, und ich weiß, wie es aussieht. Ich kann mich an ganz wenig erinnern von der Dekoration von unserer Wohnung…kaum, wo wir geschlafen haben, unser Zimmer, unser Kinderzimmer und das Schlafzimmer meiner Eltern. Und jetzt ist es so…ich wusste nie…mein Großvater hat viele Brüder gehabt, und die sind alle…unser Haus war das Stammhaus von den Latzers. Und so sind die, die in Graz waren, sind abstammend von Güssing. Und die sind zu den Feiertagen nach Güssing gekommen zu meinem Großvater. Da waren viele Geschwister, weil meine Urgroßmutter hat zweimal geheiratet…nein, der Urgroßvater hat zweimal geheiratet, weil eine Frau gestorben ist, und dann hat er wieder geheiratet. So hatte er Kinder mit der einen Frau und mit der anderen. Und der Cousin von meinem Vater, also der ist abstammend von dem einen Vater, und mein Großvater war ein bisschen älter, der war abstammend von dem anderen Vater. Verstehst du das?

EL: Ja.

AL: Ja, ungefähr. Und so hat man diese Bilder dann…die hat man aufgefunden, weil da wurde geschrieben, dass alles Gut von jüdischem Eigentum muss zurückgegeben werden. In Österreich hat man das gesagt.

EL: Wo wurden die gefunden, die Bilder?

AL: Die Bilder waren…diese vier Bilder waren im Joanneum in Graz. Denn Burgenland hat nicht existiert als Burgenland, wie die Deutschen da waren. Das wurde aufgeteilt. Und so war der Hauptsitz in der Steiermark, das war dann Graz. Und ich war in Graz. Da habe ich eine sehr nette Dame dort gehabt, die mich wirklich…aber ich habe die Bilder gesehen. Sie können mir das Bild zeigen oder jenes, ich habe keine Ahnung, wie unser Bild ausgesehen hat. Und auch die wissen auch nur die Beschreibung da. Zwei Bilder habe ich beim ersten Mal, wie ich eine Rückreise gemacht habe, die haben sie mir gegeben, ich soll sie mitnehmen. Da habe ich gesagt: „Nein. So groß, wie soll ich die nehmen? Unterm Arm?“ Erstmal werde ich sie mir nicht aufhängen, weil das wäre furchtbar für mich. Nummer zwei, da müsste ich eine größere Wohnung haben. Ich meine, meine Decken sind zwar höher, aber das Bild ist…so groß sind die, wie diese ganze Wand da. Wo hängt man sich das auf? Wer hat so eine Wohnung? Wir hatten so eine Wohnung. So wurden die zwei entdeckt, und die anderen zwei weiß man nicht, wo sie waren. Dann haben sie herausgefunden, das eine davon wurde geliehen…die wurden dann ausgeliehen, weil sie in Büros aufgehängt wurden und so. Die leihen sich aus von Museen die Bilder, und da sollten die zurückgeben, sagen wir mal. Und so ist das andere in Eisenstadt aufgetaucht, zufällig. Erst mal, weil ich mich darum bemüht habe, und zweitens, weil ein anderer Direktor gekommen ist, ein neuer.

 

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Und ich glaube, der Vorige hat gewusst, wo es war. Bitte, das ist nicht etwas…ich meine, ich kann es hoffentlich sagen, dass ich es nicht weiß…ich vermute nur. Denn das ist…wie ich ihn angerufen habe, habe ich ihn nicht gefragt: „Darf ich kommen? Wann wäre es günstig?“ Ich habe ihm gesagt: „An dem und dem Tag komme ich nach Eisenstadt und werde natürlich in ihr Museum kommen, und wir können uns darüber unterhalten.“ Ich habe nichts anderes gesagt. Woraufhin ich nach ein paar Tagen angerufen wurde, man hätte es irgendwo gefunden, es wäre versteckt und ganz verstaubt. Also sie hätten es unter anderen Bildern irgendwo gefunden. Und im Joanneum haben sie mir gesagt, sie hätten alles versucht. Die eine…es gibt zwei Abteilungen: Eine für die neuen Bilder, vom 20. Jahrhundert an und die anderen vom 19. und 18., also von früher. Und die die alten Bilder hat, die hat mir die zwei zurückgegeben und hat dann weitergeführt…diese andere ist für diese neue Abteilung, und die war sehr ekelhaft. Ich kenne sie nicht als Person, aber sie war sehr ekelhaft zu mir, wo ich sie gar nicht kenne. Und sagt, ja, das hätten sie nirgends gefunden und das weiß man gar nicht und das hat er vielleicht gar nicht gemacht. Und da sage ich: „Schauen Sie …“, das habe ich ihr zurückgeschrieben, „ich habe nur die Unterlagen, die das Joanneum, für das Sie arbeiten … Ich wusste nichts von den Bildern. Ich habe nicht nach den Bildern verlangt, weil ich gar nicht wusste, das sie existierten oder dass sie noch existierten. Sie haben mir geschrieben, diese Seiten, wo ich Ihnen eine Kopie schicken werde … oder Sie haben sie …“. Aber ich habe ihr eine geschickt, wo auch steht: „Bild gemalt von … gehört Jude Aladar Latzer, gemalt von soundos, und es ist eine Mädchenzeichnung oder eine Kohlenzeichnung.“ Also es steht drauf, was derjenige, der das geschrieben hat, sich gedacht hat, dass es ist. Also es ist keine Ölmalerei, es scheint eine Zeichnung oder eine Radierung zu sein. Und so habe ich gesagt, dass ich das…ich weiß nicht, weil ich kann mich nicht erinnern, und ich weiß nicht, was es ist. Aber da steht: „Drei sind jetzt aufgetaucht, und jetzt fehlt das vierte.“ Da sagt sie: „Ja, wir haben das nirgends gefunden.“ Da sage ich: „Gut.“ Und inzwischen ist gekommen der Journalist, und alles ist gleich rausgekommen. So hatte ich Anrufe von Leuten und alle möglichen Sachen. Und da habe ich gesagt, dass…ich würde es gerne auf die internationale Liste für gestohlene Sachen geben, sodass wenn es jemand verkaufen will, kann er es nicht verkaufen. Das kann mir niemand verbieten, weil das ist international. Das Joanneum, dem war das nicht angenehm, weil es keine Propaganda für das Joanneum ist. Aber das tut mir ja auch furchtbar leid, wenn sie sich so benehmen, dass sie sagen…nicht die eine Dame, die war sehr nett zu mir, aber die andere Dame, mich zu beschuldigen, dass das Bild nicht existiert. Da sage ich: „Sie haben mir geschrieben, dass es existiert! Und nachdem drei aufgetaucht sind, glaube ich auch, dass das vierte irgendwo war oder irgendwo ist.“ Denn ich will nicht geraderaus sagen…wahrscheinlich, von der damaligen Zeit, wenn sie rausfinden, alljeder, der dort gearbeitet hat, wäre es leichter, es zu finden. Oder irgendjemand wird es ja wissen. Und jetzt nach so langer Zeit will keiner den Mund auftun, weil dann werden sie als Diebe dargestellt. Wenn ich es nicht bekomme, ich habe so lange ohne das gelebt, dann kann ich auch davon leben. Nur, natürlich ist es mir angenehm, dass ich doch irgendwie…jetzt mit dem Geld, trotzdem, dass mir sehr wenig gegeben haben, aber…entweder ich nehme es an, oder ich nehme es nicht an. Ich kriege nicht mehr. Und mit dem ist die ganze Sache erledigt, für alle. Mein Neffe, nachdem er nicht geschrieben hat, ich weiß gar nicht, ob ich ihm etwas sagen werde, weil sonst wird er sich aufregen, dass ich das Geld bekomme, denn er kann ja nichts dafür, dass er nicht geantwortet hat.

EL: Ja. Und die Bilder, haben Sie die jetzt mitgenommen oder in Österreich gelassen?

AL: Die habe ich hier verkauft. Die haben sie mir geschickt, nach Hause geschickt, und die habe ich verkauft mit Gallerien und so. Die waren nicht sehr viel wert, weil zwei hatten keine Unterschrift. Aber trotzdem hat es einen gewissen Wert gehabt. Ich meine, nicht viel, aber besser wie gar nichts. Das andere ist total verschwunden.

EL: Okay.

AL: Aber da muss man endlich mal sagen: Schluss.

EL: Gut, danke für das Gespräch!

 

2/01:10:37

 

[Ende des Interviews.]