Yitzak | Rosner |
Yitzak Rosner wurde 1926 als Jacques Rosner im rumänischen Moldoviţa in der vormals zur Habsburgermonarchie gehörenden Bukowina geboren, wo er in einem deutschsprachigen Elternhaus aufwuchs. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs musste Rosners Familie Moldoviţa verlassen; später wurde sie in das Ghetto Scharhorod deportiert, wo sie bis 1944 interniert war. Nach der Befreiung durch die Rote Armee war Rosner für diese als Übersetzer in Bukarest tätig. Nach etlichen gescheiterten Versuchen gelang es Rosner 1968 über Wien nach Israel zu emigrieren, wo er auch zum Zeitpunkt des Interviews lebte. |
Vollständiges Interview
Teil 1 |
Teil 2 |
Teil 3 |
in chronologischer Reihenfolge
Teil 1
LSY: Interview am 5. März 2014 mit Yitzak Rosner, interviewt von Lisa Schulz-Yatsiv. Was kannst du mir noch von deinen Großeltern erzählen, von deiner Familie?
YR: Großeltern, also meine…beide Großväter habe ich nicht gekannt. Nur meine Großmütter. Die Großmutter von meinem Vater, die war ziemlich alt…als ich mich erinnern kann. Ich glaube, dass sie [19]36 oder [19]37 gestorben ist. Also ich war damals zehn Jahre alt. Sie hat im selben Dorf, wo wir gewohnt haben…wo meine Familie gewohnt hat…die haben dort gewohnt, nicht weit von uns. Ich war immer…also wir, die Kinder, einige Kinder waren dabei…sind immer zu Besuch gekommen zur Großmutter. Die Großmutter war die ‚Baba’, so haben wir sie genannt. Die zweite Großmutter, die Mutter meiner Mutter-- [Unterbrechung.]
[Übergang/Schnitt.]
Die Mutter meiner Mutter, mit der war ich viel mehr verbunden, weil sie lange Zeit, in den [19]30er-Jahren bis 1939, bis sie gestorben ist, in unserem Haus gewohnt hat. Sie hat bei uns gewohnt. Und sie war die Oma. Und natürlich, sie hat mich…ich habe eine Schwester gehabt, aber sie hat mich lieber gehabt als die Schwester. Wie es geschieht. Und mit ihr war ich in sehr guter Verbindung. Das sind meine Großeltern.
LSY: Und die sind auch dort in der Gegend schon geboren? Oder woher kamen die?
YR: Die sind eigentlich…mein Vater stammt aus Galizien. Wie alle Juden…die meisten Juden in Osteuropa. Die sind eben vor dem Ersten Weltkrieg…ist mein Vater schon in die Bukowina gekommen. Und hat begonnen…seine Eltern sind schon in die Bukowina gekommen. Im Ersten Weltkrieg war mein Vater als Soldat in der österreichischen Armee. Er wurde 1916 von den Russen gefangen genommen. War in Gefangenschaft bis zur Revolution. Bei der Revolution haben die ihn…alle deutschen und österreichischen Soldaten freigelassen. Da ist er zurück, aber da war die Bukowina schon von den Rumänen besetzt. Dann ist er nach Wien zurück. Für ihn war Rumänien etwas Fremdes und Wien war die Hauptstadt seines Landes. Mein Vater war natürlich sehr, sehr österreichisch eingerichtet. Der Name Franz Joseph, wenn man das Wort ausgesprochen hat, musste man stramm stehen usw. Wie es gewöhnlich war in Österreich. Und dort irgendwie hat er meine Mutter kennengelernt. Währenddessen musste man auch…ein Teil der Familie ist in der Bukowina geblieben. Und er ist zurück in die Bukowina…[19]22, [19]23 ist er zurück in die Bukowina gekommen und hat dort zu arbeiten begonnen. Er hat ein Geschäft aufgerichtet in der Holzindustrie. Und wir sind…ich bin dort geboren und meine Schwester auch.
1/00:05:00
LSY: War die älter oder jünger, die Schwester?
YR: Sie war älter. Sie war älter und sie ist 1964 in Jerusalem gestorben. Sie war 42 Jahre alt. An einer bekannten Krankheit. Und--
LSY: --was für Erinnerungen hast du noch an deine Kindheit?
YR: Also wir haben ein sehr glückliches Leben gehabt. Das Dorf in welchem wir gewohnt haben, das Moldoviţa geheißen hat, war ein Dorf das eigentlich von der Holzindustrie gelebt hat. Die meisten Leute im Dorf haben in der großen Säge [meint: Sägewerk] und einige in der kleinen Säge, gearbeitet. Es gab dort eine große jüdische Gesellschaft…Gemeinschaft. Es war ein Rabbiner, ein Schächter. Ich bin in den…am Anfang bin ich in חדר [hebr. wörtl.: Zimmer, bezeichnet religiöse, jüdische Schulen, Eigenname: Cheder] gegangen. Wissen Sie, was das heißt, חדר? Später, wie ich schon…das war, wie ich schon sechs Jahre alt war, glaube ich…fünf oder sechs Jahre…hat man einen hebräischen Kindergarten gegründet. Und ich bin in einen Kindergarten gegangen. Dort habe ich zum ersten Mal Hebräisch gelernt. Meine Mutter war sehr aktiv in der WIZO [Women‘s International Zionist Organization]. In unserem Haus war es…im Sommer besonders…war es sehr, sehr besetzt…das Haus. Wir haben ein großes Haus gehabt. Die Familie aus Czernowitz kam zu uns und die Familie aus Wien kam zu uns. Außerdem meine…die beste Freundin von meiner Mutter war die Schwester von Joseph Schmidt. Und die ganze Familie Schmidt, seine Mutter und er, waren immer bei uns eingeladen. Es waren Abende, es waren Kulturabende, es waren Musikabende. Es war ein sehr…wie soll ich sagen…ein volles Leben. Das hat natürlich [19]39, [19]40 aufgehört. Die erste Sache war, dass man sowohl mich als auch meine Schwester aus der Schule ausgeschlossen hat. Dann hat…mein Vater wurde gezwungen, damit er sein Geschäft nicht verliert, einen rumänischen Companion ins Geschäft zu nehmen, weil das Geschäft-- [Telefon klingelt.]
[Übergang/Schnitt.]
LSY: Ihr wurdet von der Schule--
YR: --ja, von der Schule ausgeschlossen. Und im Sommer 1940 war ein Erlass der rumänischen Regierung, dass es den Juden verboten ist in Dörfern zu wohnen. Wir haben unser Haus gesperrt und sind in eine kleine Stadt, Gurahumora – das ist irgendwo, 40-50 Kilometer weit – gezogen. Das Interessante ist, dass mein Vater weiter sein Geschäft führen musste. Es war nämlich so: Er hat viele…eine große Quantität vom Holz geht zum Export. Früher, vor dem Krieg, ging der Export nach England, nach Frankreich, nach Palästina sogar. Aber 1940 haben sich die Bedingungen in Rumänien geändert und der ganze Export von Holz, überhaupt von Rohmaterialien, ist nach Deutschland gegangen. Weil Hitler hat viel gebraucht. Sodass die deutschen Behörden, die währenddessen nach Rumänien gekommen sind und sich ansässig gemacht haben…nicht offiziell, aber die waren dort…die haben sehr darauf gedrungen, dass mein Vater die Säge weiterleitet. Also es war eine Distanz von 40 Kilometer, in eine Gegend wo es verboten war, Jude zu sein. Mein Vater hat sich geweigert. Er hat sich gefürchtet, ganz einfach. Es waren die Legionäre, die rumänischen Legionäre, die sehr aggressiv waren. Da hat mein Vater einen deutschen Soldaten bekommen, um ihm zu helfen gegen die Rumänen. [Lacht.] Eine komische Situation. Also, der war…das war ein Korporal in der deutschen Armee mit Gewehr, der Montag früh zu uns gekommen ist. Hat den Vater genommen, ist mit ihm nach Moldoviţa gefahren. Die haben in unserem Haus gewohnt. Was man ihnen erlaubt hat, während der Woche. Und Ende der Woche sind sie zurück nach Gurahumora gekommen. Das Interessante war, dass…gewöhnlich, am Sonntag, hat meine Mutter den Soldaten eingeladen zu Mittag. Da sitzen wir…währenddessen war schon der Auftrag, dass man schon den Judenstern tragen musste. Also sitzen wir, die ganze Familie, mit Judenstern, beim Mittagessen mit dem deutschen Soldaten, sein Gewehr auf dem Sofa…und so haben wir ein Jahr gelebt.
1/00:12:11
LSY: Kannst du dich noch an Gespräche erinnern, die ihr mit ihm hattet? Worüber hat man gesprochen?
YR: Über alles. Über alles. Er hat erzählt, er war aus Hamburg. Er hat viel über seine Familie erzählt. Er hat uns Fotografien gezeigt von den Kindern, kleine Kinder. Und von seiner Frau. Wir haben ihm alles erzählt, was bei uns vorgeht. Wir waren ganz einfach freundlich. Sehr freundlich.
[Übergang/Schnitt.]
Im Oktober [19]41…natürlich in Gurahumora, in diesem Jahr zwischen Moldoviţa und dem einen Jahr, wo wir in Gurahumora gewohnt haben. Wir waren nicht die Einzigen, die aus dem Dorf nach Gurahumora gekommen sind. Die jüdische Bevölkerung in Gurahumora ist gestiegen und man hat besonders begonnen, irgendeine Schule zu…also nicht offiziell. Aber es waren Studenten, jüdische Studenten und jüdische Lehrer. Also hat man irgendwie etwas organisiert. Wir hatten Beschäftigung, irgendwie, nicht normales Studium, aber Beschäftigung. Ich war im Lyzeum damals. Ich glaube, dritte…vierte Klasse Lyzeum. Das heißt, wie es heute geht, achte Klasse. Und ich habe ein wenig gelernt und…dann kam der Oktober 1940, wo kam der--
LSY: --[19]41.
YR: [19]41! Pardon. [19]41 kam die Deportation nach Transnistrien. Das war eine…also wir haben den Befehl bekommen…man hat schon einige Zeit darüber gesprochen.
LSY: Habt ihr auch schon davor Möglichkeiten gesucht auszuwandern, irgendwie wegzukommen?
YR: Ich glaube nicht. Nein. Das…ich weiß nicht warum, aber meine Eltern haben nicht…ich erinnere mich nicht, dass man darüber gesprochen hat. Das kann ich mich nicht erinnern. Ich glaube auch, dass es so war…es war ja Krieg, währenddessen. Und ich glaube, die haben nicht…gesehen wie man auswandern kann. Oder man hat überhaupt nicht darüber gesprochen. Ich glaube…so viel ich mich erinnere. Man hat schon einige Zeit vorher zu sprechen begonnen. Dabei waren es allerlei Nachrichten. Man hat uns erzählt, man wird uns in die Ukraine führen und dort bekommt jeder eine Wirtschaft und man will, dass wir Landwirtschaft machen in der Ukraine. Und verschiedene solche…es wurde genannt IPA. Was ist IPA? IPA ist die jüdische plotkes Agentur. Plotke, das heißt Erzählungen. Das hat man so gehört.
1/00:15:54
Bis wir den Auftrag bekommen haben am nächsten Tag um zehn Uhr morgens am Bahnhof zu sein. Jeder kann nur mitnehmen, was er mit sich hat. Mein Vater war überhaupt nicht zu Hause, er war in Moldoviţa. Und damals haben keine Telefone existiert. [Lacht.] Aber es gab schon ein Telefon, meine Mutter wollte eine Nachricht…erfährt man schon. Mein Vater ist am Nachmittag nach Hause gekommen mit dem Schutzbeamten. Und wir haben begonnen einzupacken…zu beschließen, was nimmt man. Was nimmt man mit? Was kann man auf sich nehmen? Also, wir haben…natürlich, wie es gewöhnlich war, Rucksäcke gehabt jeder, weil man ja Ausflüge gemacht hat. Hat man die Rucksäcke gepackt. Es war…ein Problem war das Geld. Was tut man weiter? Mein Vater hat eine gewisse Summe…nicht sehr groß, aber eine gewisse Summe…im Haus gehalten als Reserve, man weiß nicht was. Aber es war verboten Geld mitzunehmen. Meine Mutter hat das Geld in ihren Mantel zwischen dem Futter…hat das Futter aufgemacht und hat das eingenäht, dort irgendwie. Und so sind wir zur Bahn gekommen am nächsten Tag. Und das hat…wir waren…am Platz vor dem Bahnhof, alle Juden aus Gurahumora, das waren ungefähr, ich nehme an, 500-600 Personen, mit Kindern und Eltern und so weiter. Gewartet, gewartet, gewartet, der Zug soll kommen, der Zug soll kommen. Wird schon bald kommen.
Am Nachmittag, ich glaube gegen vier Uhr oder sowas – es war schon halb dunkel –, ist der Zug angekommen. Aber zu unserer Überraschung war es nicht der normale Zug, sondern ein Viehzug…ein Viehwaggonzug. Das war etwas ganz… Und dann hat man begonnen: „Hinein, hinein, hinein!“ Und man hat die Waggons…da war die rumänische Gendarmerie…und der Zug ist gefahren, hat begonnen zu fahren. Der Zug…wir waren im Waggon eigentlich…ungefähr 30 Personen. Ich kann die Zahl nicht…sehr, sehr voll. Und wir waren fünf Tage am Weg. Fünf Tage und fünf Nächte. Einige Mal haben wir…ist der Zug stehen geblieben in verschiedenen Stationen in Bessarabien. Und die lokale Bevölkerung, die sind gekommen und haben für eine Flasche Wasser ein Vermögen verlangt. Es waren dort irgendwie… Und dann sind wir in einen Ort gekommen, der Otaci heißt. Das ist am Ufer des Dnjestrs. Das Dorf war halbwegs verlassen. Man hat uns freigelassen, jeder soll ein Haus suchen und dableiben. Wir waren ungefähr eine Woche dort. Ich glaube fünf, sechs Tage.
1/00:20:05
LSY: Und ihr wusstet nicht, was passiert? Warum ihr--
YR: --wir wussten nicht, was uns erwartet. Wir wussten, dass wir am Dnjestr sind und, dass wir über den Dnjestr fahren werden, aber wie und wann wussten wir nicht. Und die erste Sache, die mir bis jetzt geblieben ist…das waren natürlich kleine Häuser von Juden, die vertrieben oder getötet worden sind. Schon von der rumänischen Armee. Im Haus war keine Toilette, kein Wasser. Im Hof war eine Toilette. Und in der Toilette war geschrieben, in Jiddisch: „Versucht wegzulaufen, denn die töten uns alle!“ Das war alles. So, mit Kreide geschrieben.
LSY: Habt ihr auch Jiddisch gesprochen in der Familie?
YR: Nein. Aber ich verstehe. Wir haben verstanden. Meine Mutter war Lehrerin für Deutsch. Ein Fehler, den ich gemacht hatte… [Lacht.] Das war ein Verbrechen. Also, nach ungefähr einer Woche…die Rumänen haben das in jedes…eine Gruppe von Häusern genommen und gesagt: „Also, jetzt kommt!“ Sind wir gekommen, sind im Zug den Dnjestr hinuntergegangen. Am Dnjestr war vor dem Krieg eine Brücke. Die Brücke war bombardiert und da war eine Fähre, die von einem Ufer zum anderen gefahren ist. Aber nicht eine…das war eigentlich ein großes Boot mit einem Seil…das an einem Seil gehangen ist. Und es hat geregnet, und es war cold. Beim Übergang vom Ufer in das Boot waren Kontrollen. Ein rumänischer Offizier hat kontrolliert und alles weggenommen, was man…Ringe, Schmuck, Geld, alles muss man ihm übergeben. Aber natürlich hat man nicht alles gegeben. Jeder hat versucht etwas zu verstecken.
LSY: Die Mutter hatte noch das Geld in der Manteltasche?
YR: Sie hatte das Geld, ja. Und sie hat den ganzen Schmuck übergeben, aber sie hat einen Ring gehabt, den sie versteckt hat. Brillanten, Diamanten, was weiß ich, sowas. Wir sind auf die andere Seite des Ufers gekommen. Das war die Stadt Mohyliw. Mohyliw-Podilskyj, eine Stadt in der Ukraine. Dort hat man uns wieder in ein Viertel gebracht das vollkommen ohne Bevölkerung war. Uns persönlich…und die Familie, die waren zusammen mit einer Schwester von meinem Vater und ihre Töchter und ihre…die Pensionsinhaber…wir waren alle zusammen. Wir waren eine große Gruppe von ungefähr fünfzehn Personen. Wir sind in ein Haus gekommen, das…irgendein Kulturzentrum, sowas. Ein Zimmer war dort, wo bis zum Krieg wahrscheinlich eine Bibliothek war. Weil dort ein Haufen Bücher war, so bis zum Plafond. Und dann waren einige große Säle. Und in diesen Sälen haben wir gewohnt. Jeder hat eine Ecke genommen. Und wir waren dann dort wieder ungefähr eine Woche. Dann hat man organisiert…da wusste man schon, dass es verschiedene Ghettos gibt, die die Rumänen…wohin die Rumänen uns bringen wollten. Und dann hat sich eine Gruppe gegründet eigentlich aus…wenn Sie einen Begriff haben, was Suceava ist…in der Bukowina? Und eine große Gruppe von Juden aus Suceava…mein Vater hat da viele Freunde gehabt, Bekannte und so. Also hat sich die ganze Familie dieser Gruppe angeschlossen. Und das war etwa 40-50 Kilometer von Mohyliw, um nach Scharhorod zu kommen. Und dann haben wir begonnen zu Fuß zu gehen. Am Weg--
1/00:26:12
LSY: --das durftet ihr auch? Ihr konntet--
YR: --natürlich mit…beschützt.
LSY: Mit rumänischer--
YR: --einen Konvoi gegründet. Und man ist zu Fuß hingegangen. Die einzige Sache, die gelungen ist…am Weg ist irgendein Lastwagen vom Militär stehengeblieben und da hat man den Chauffeur bestochen. Er ist nach Scharhorod, wohin wir kommen sollten, gefahren. Und jede Familie…einige Familien haben eine Person auf den Lastwagen gegeben, damit man dort schon irgendwelche Vorbereitungen macht. Meine Schwester ist mit dem Lastwagen…wir sind weiter, ich mit den Eltern. Wir sind etwa drei Tage gegangen. In der Nacht haben wir in einem…jedes Mal in irgendeinem Pferdestall oder irgendwo genächtigt und am Tag weitergegangen. Wir sind in Scharhorod angekommen. Dort hat… Scharhorod ist eine kleine Stadt und zwar war es das…die Russen haben das Rayon genannt. Ein…wie nannte man das? Eine kleine Gegend, wo das Zentrum war. In Scharhorod waren viele jüdische Familien – aus Scharhorod. Scharhorod hat viele jüdische Familien und da…es war ein Viertel…da wurde beschlossen, das ist das Ghetto. Da durften wir wohnen. Und jeder musste jemanden finden, der dich in sein Haus hineinlässt. Die Leute waren, sagen wir, nicht sehr zufrieden damit, dass sie gekommen sind. Aber die haben uns endlich aufgenommen, in ihren Häusern. Und die haben nämlich…die Bedingungen in Russland waren ja sehr, sehr beschränkt. Das war alles sehr primitiv. Wie wir irgendwie gedacht haben…zur Bukowina…jedenfalls, zu unserem Leben in der Bukowina war es--
LSY: --zwei verschiedene Welten.
YR: Zwei Welten…wirklich zwei verschiedene, komplett verschiedene. Aber die haben uns aufgenommen und weil die…die meisten…das war nicht nur so bei den Juden, auch bei den Ukrainern…die waren nur Frauen. Männer waren es überhaupt nicht. Die Männer waren alle mit der Armee mit. Später, in den späteren Jahren, nach einem Jahr, zwei, sind alle Ukrainer, wenn die Deutschen die Ukrainer freigelassen haben, sind die Männer zurückgekommen. Aber wie wir hingekommen sind…das war sofort nach der Besatzung…nach der Besetzung. Da waren 90 Prozent Frauen.
1/00:30:09
LSY: Auch in den jüdischen Familien waren Frauen?
YR: Auch in den jüdischen, ja natürlich.
LSY: Die Männer wurden schon deportiert?
YR: Weil in den jüdischen Familien war es bis zum Ende des Krieges. Weil die Deutschen die Juden nicht freigelassen haben. Aber die Ukrainer haben mehr freigelassen. Und dort haben wir begonnen zu organisieren…uns irgendwie zu organisieren. Die erste Sache, die wir gefunden haben…wir, die Männer in unserer Gruppe, haben herausgefunden, dass irgendwo in diesem Dorf, in diesem Städtchen, noch eine elektrische Zentrale gewesen war. Also, wir haben dort – eine ganze Gruppe – zwei Wochen gearbeitet, um das irgendwie wiederaufzubauen, dass wir Licht haben. Es hat dann nicht gearbeitet, weil wir keine Brüstung gehabt haben. Das ist was Anderes. [Lacht.] Wir dachten vielleicht wird man irgendwie die Brüstung erheben.
Und dann hat irgendeine Regelung begonnen. Zum Beispiel: Ich musste einen Tag in der Woche arbeiten. Ich und mein Vater…Männer mussten…in der Früh musste man bei der Gendarmerie sein und da hat man…ich habe meistens in der Küche…Kartoffeln schälen usw. Ich war damals vierzehn, fünfzehn Jahre alt. Wir haben viel…im Winter, das war ein schrecklicher Winter. Der Winter [19]41 war sehr schwer. Um die Straßen frei zu machen. Das war so viel Schnee, dass wir…wenn das die Straße war, ja? [Deutet Straße an.] Die Straße war hier eine Höhe und dann war eine Treppe und da war noch eine Höhe, das war…wir haben den Schnee bis hierhergebracht und da waren andere Leute, die den Schnee noch zwei Meter oder eineinhalb Meter hinaufgebracht haben. Es war so schrecklich. Es war sehr kalt. Es waren…minus zwanzig, minus 25. Wir hatten, um Wasser…musste man ungefähr zweieinhalb Kilometer gehen, bis zur Quelle. Es war überhaupt kein Wasser in der Stadt. Die Russen haben…gewöhnlich sieht man das in den russischen Filmen. Die haben was man koromistel [meint: Tragjoch] nennt. Koromistel ist eine Holzstange, wo man zwei Eimer hält und das man auf der Schulter trägt. Und das Wasser bringen, damit wir uns waschen und damit wir es auch trinken. Ich musste jeden Tag die zwei Eimer bringen. Wir waren vier Personen. Und in diesem Jahr…aber das war das einzige Jahr, wo der Frost so groß war, dass es einige Mal vorgekommen ist, dass ich…bis ich nach Hause gekommen bin, war das Wasser Eis.
LSY: Wie habt ihr euch da mit den Leuten verständigt? Konntet--
YR: --schwer. Aber mein Vater, der in der russischen Gefangenschaft war im Ersten [Weltkrieg]…er konnte ziemlich gut Russisch, Ruthenisch, Ukrainisch. Mein Vater hat sich mit denen, mit der lokalen Bevölkerung, ziemlich gut verstanden. Ich habe von ihm…wie wir von der Fähre in Mohyliw hinaufgegangen sind…das war so ein Berg, hinaufzugehen vom Fluss…da war ein Schild von einem Geschäft. Und das ist das erste Wort, das ich dort gesehen habe. Und dann habe ich meinem Vater gefragt: „Was ist das?“ Ich konnte es nicht lesen. Es war in Russisch, kyrillischer Schrift. Also, es war eine…eine Apotheke. Das heißt apteka in…das war das erste Wort. Ich habe eben diese…in diesem Ort, wo wir in Mohyliw waren und wo ein riesiger Haufen von Büchern war, habe ich ein Buch, zwei Bücher, habe ich von dort mitgenommen. Eines war das Buch von Maxim Gorki, Die Mutter. Und das zweite war ein Wörterbuch Russisch-Deutsch, Deutsch-Russisch. Diese zwei Bücher haben mir geholfen die russische Sprache zu lernen, in den drei Jahren wo ich dort war.
1/00:35:40
Ich habe auch viel gelernt. Meine Mutter…eben dort in Scharhorod war irgendein Verwandter von meiner Mutter. Ein Arzt. Er war alt…er war ungefähr in meinem jetzigen Alter. Aber er war sehr…und er hat fast täglich, im Sommer, wenn es möglich war und wenn ich nicht bei der Arbeit war…denn manches Mal war ich eine Woche zur Arbeit weg. Bei Tabakpflanzungen und verschiedene andere Arbeiten, wo ich gearbeitet habe. Ist er zu mir gekommen und wir haben Spaziergänge gemacht an einem kleinen Fluss. Längs des Flusses – das war alles im Ghetto – sind wir gegangen und er hat mich…Geschichte und Geografie unterrichtet…und Stenographie. Es war eine gewisse Art von…gab es bei der Stenografie. Und das kann ich bis heute. Und allgemeine Wissenschaft…das habe ich alles von ihm gelernt.
LSY: Das war dann eigentlich deine Schulbildung dort?
YR: Ja! Das war die einzige Schulbildung. Es gab überhaupt keine Schule. Natürlich war da auch sehr, sehr…schreckliche Sachen. Es war nämlich verboten…den Juden war verboten aus dem Ghetto in ein Dorf, oder irgendwie, hinauszukommen. Aber natürlich hat man…die Leute haben Essen gesucht. Und haben auch versucht…es gab Plätze wo es besser war, Plätze wo es…und viele Leute wurden erschossen. Wenn man dich gefangen hat, es gab keinen Prozess, gar nichts. Wenn man dich gefangen hat, hat man dich zum Friedhof gebracht und erschossen. Im ersten Jahr, nachdem die hygienischen Bedingungen schrecklich waren, ist der Typhus ausgebrochen. Und Typhus, die Typhusepidemie, die geht so: Das beginnt am Anfang und ist nicht…geht bis zum Tod…man erlebt den Typhus. Das geht immer soweit es weitergeht und größere Massen sind. Jene, die…die Krankheit ist viel schwerer. Ein großer Teil von den Kranken stirbt. Und dann geht es wieder hinunter. Das war der…Laustyphus. Er kommt von Läusen. Meine Mutter, meine Eltern, alle waren…das war ein Krieg gegen die Läuse. Ein großer Krieg. Deshalb musste man Wasser haben. Wir haben irgendwie die Ukrainer…die waren so…bei uns hat ja gar nichts existiert. Wir haben gar nichts gehabt, sodass was wir in unserem Gepäck gebracht haben…das war für die was ganz Besonderes. Und für diese Sachen, die wir mitgebacht haben…jedes Taschentuch und jede Unterhose und jedes Hemd war zehnmal seinen Wert. So haben wir auch durchhalten können. Die sind immer gekommen, die Ukrainer, die Bauern von ringsum…sind gekommen und haben getauscht.
1/00:40:47
LSY: So habt ihr Essen bekommen und--
YR: --Essen, ja. Also wir…meine Familie hat natürlich auch währenddessen die…man hat sehr viele Sachen…man hat vieles…vor kurzem war ich beim Film, Der letzte Weise [meint: Der letzte der Ungerechten, R.: Claude Lanzmann, Frankreich/Österreich 2013], ich weiß nicht, ob Sie den Film kennen? Über den Judenältesten in Theresienstadt. Natürlich, die Juden haben sich organisiert. Die Rumänen haben erlaubt, dass man irgendeine Organisation schafft. Da waren es…die haben es jüdische Kolonie genannt…die sich organisiert hat und irgendein sehr primitives Spital organisiert haben. Die haben auch…waren auch mit dem Joint [American Jewish Joint Distribution Committee] irgendwie verbunden und haben auch irgendwelche Mittel bekommen. Es war eine Küche für Leute, die nichts hatten. Und die haben Mittag bekommen und auch verschiedene Dienste.
[Übergang/Schnitt.]
Ich war…in der Nacht musste man das Ghetto schützen. Und man hat eine Ghettopolizei gegründet. Ich war mit einem…haben so einen weißen Streifen mit einem David bekommen. Ich war damals schon sechzehn, siebzehn. Bin ich schon in diese Polizei und habe…in der Nacht musste ich immer eine halbe Nacht herumgehen damit nichts geschieht. Aber der Typhus, im ersten Jahr…da waren Szenen, die man nicht vergessen kann. Diese Gemeinde die sich gegründet hat, die Kolonie, die war nicht im Stande die Toten zu sammeln und zum Friedhof zu bringen und zu begraben. Da hat man…zweimal oder dreimal in der Woche ist ein Wagen durchgefahren durch das ganze Ghetto und jeder hat seine…seine toten Körper gebracht und in den Wagen geworfen. Und man hat ein Massengrab am Friedhof gemacht. Dabei war es Winter und im Winter konnte…die sind dort geblieben bis im Frühling. Im Frühling hat man ein großes Grab gemacht und da wurden hunderte von Leuten begraben.
LSY: Ihr hattet also großes Glück, dass ihr diese furchtbare Epidemie überlebt habt.
YR: Wir waren…im ersten Jahr haben wir keinen Typhus gehabt. Und das ist nur dank meiner Mutter, die dreimal am Tag jeden untersucht hat. Ob nicht eine--
LSY: --eine Laus--
YR: --ja. Im nächsten Jahr war wieder eine Typhusepidemie. Aber das war Bauchtyphus. Das ist eine andere Art von Typhus, die nicht über Läuse geht. Da war ich krank. Und da war ich schon im Spital. Irgendein Spital. Jetzt muss ich Ihnen noch was sagen: Unsere Familie…meine Eltern waren unter den glücklichen Leuten, die sich materiell…ziemlich gut den Krieg durchgebracht haben. Warum? Das Geld, das mein Vater vorbereitet hatte, für diesen Fall…das ist alles gegangen. Das war nämlich so: Das Geld hat man uns beim Übergang über den Dnjestr weggenommen und hat uns Rubel dagegen gegeben. Nach einem Kurs, der… Einen Monat nachdem wir dort waren, in Scharhorod, hat man den Rubel abgesetzt und man hat die Besatzungsmark eingerichtet. Die Deutschen haben nämlich in der ganzen Gegend in…die Sowjets okkupiert haben, besetzt haben…haben die eine ganz besondere--
1/00:46:14
LSY: --Währung gehabt--
YR: --gehabt. Das was die Besatzungsmark. Also da hat man…vom Geld ist nichts geblieben! Aber der…ich habe ja gesagt, mein Vater hat einen rumänischen Advokaten…sein Name war [unklar], er war Notar und Advokat…in sein Geschäft hereingenommen und das Geschäft war schon auf den Namen, seinen Namen…und fortwährend… Es war so: Ein rumänischer Offizier, der seinen Sitz in Bukarest gehabt hat, wurde von verschiedenen Leuten bestochen. Und einmal im Monat ist er nach Transnistrien gefahren und hat Geld mitgenommen für Leute…wer Geld schicken wollte. Und dieser…der Freund von meinem Vater, [unklar], der hat ihn entdeckt und hat gesucht, wie er meinen Eltern helfen kann und hat uns während des ganzen…während der ganzen Periode, einmal in drei Monaten, einmal in vier Monaten, irgendeine Summe Geld geschickt. Und damit haben wir gelebt. Davon haben wir gelebt. Aber es kam vor, dass es nicht nach drei Monaten, sondern nach vier oder fünf Monaten…dass nichts war. Wie ich im Spital gelegen bin. Für das Spital hat die jüdische Kultusgemeinde, die Kolonie, Geld verlangt. Man musste ihnen etwas zahlen. Und ich war schon gesund und habe gewartet…der Bauchtyphus nimmt 21 Tage, das ist eine kleine Sache. Am 22. Tag bist du ohne Fieber und ohne Gefahr jemanden anzustecken. Und meine Eltern wollten mich aus dem Spital nehmen, aber das Spital wollte mich nicht ausgeben. Meine Eltern waren ohne Geld. Da ist mein Vater zum Vorsitzenden der jüdischen Kolonie gegangen, den er gekannt hat, vor dem Krieg. Doktor [unklar]. Und hat verlangt, dass man mich aus dem Spital raus lässt. Und in der Kürze, wenn dieser Offizier kommen wird mit dem Geld, hätten wir bezahlt. Hat Doktor [unklar] gesagt: Nein…er macht solche Geschäfte nicht. Also meine Mutter…den einzigen Ring den sie gehabt hat, hat sie verkauft, damit sie mich aus dem Spital rausnimmt. Weil ich erzähle das so…wie die Atmosphäre war.
LSY: Hattet ihr im Ghetto auch viel Kontakt mit den Rumänen? Oder sind die eigentlich nicht ins Ghetto reingekommen? Mit der rumänischen--
YR: --die sind nicht ins Ghetto reingekommen. Nein. Der Kontakt mit den Rumänen war nur, wenn man zur Arbeit gegangen ist. Das war die Gendarmerie. Es waren auch Fälle, wo man besonders Männer…Gruppen von Männern gegründet hat und man hat sie an den Bug geschickt. Der Bug war die Grenze zwischen Transnistrien und dem deutschen Gebiet. Dort hat…die Todt-Organisation hat dort Brücken gebaut, für die deutsche und die rumänische Armee. Wenn ihnen die Arbeiter gefehlt haben, dann hat man…es waren Leute, die hingegangen sind und nicht zurückgekommen sind. Viele! Sogar Freunde von mir. Mir ist es gelungen einige Male mich zu verstecken. In der Nacht ist man gekommen und hat dich geholt und in der Früh zum Bug geschickt.
1/00:51:16
LSY: Und du wusstest schon, was das bedeutet?
YR: Ja! Es war…so ist es gegangen. Irgendwie ist das gelungen. Was soll ich noch von Transnistrien erzählen? Die Bedingungen, wie wir gewohnt haben.
LSY: Ja.
YR: Das Haus, wo wir gewohnt haben, war eigentlich das Haus von einer sehr…relativ wohlhabenden Familie, nach sowjetischen Bedingungen. Da war nur die Frau und die Mutter von ihrem Mann und zwei kleine Kinder. Die sind im Haus geblieben. Er war…der Mann war in der Armee und ist mit der russischen Armee zurückgezogen…hat sich zurückgezogen. Im Haus waren zwei Zimmer und eine Küche. Ich habe das irgendwo am Computer. Ich habe das mal aufgezeichnet für jemanden. Ich werde das sofort suchen. Und beim Haus war ein Schuppen, irgendein…Magazin hatten die das genannt…wo sie das Holz für den Winter gehalten haben. Und dahinter war noch eine Art Küche. Ein Zimmer, das sagen wir ein Viertel von diesem Zimmer war, wo wir jetzt wohnen. Ungefähr. In diesen Zimmern hat es aber einen Herd gegeben. Einen gebauten Ofen. Ein Herd mit einem Ofen. Dieses Zimmer haben die uns gegeben. In diesem Zimmer war eine Art…eine Art von Sofa, ein Tisch und zwei oder drei Sessel. Und das war alles. Jetzt: Wie schlafen hier vier Personen? Am Abend hat man die Sessel zum Sofa gebracht und wir haben ein Fass gehabt, wo man Kartoffeln gehalten hat…das immer voll mit Kartoffeln war. Also, ich war der vierte am Ende des Sofas, aber wir haben nur drei Sessel gehabt. Also mir hat man mir immer das Fass mit Kartoffeln gestellt…was draufgelegt, damit ich die Füße draufhalte. Das war immer gut, solange das Fass voll war. Aber mit der Zeit ist das immer hinuntergegangen. [Lacht.] Und da war immer ein Kampf zwischen mir und meiner Schwester, weil ich verlangt habe, dass sie auch manchmal so ist. Und sie wollte nicht. Und da, in diesem Zimmer, haben wir drei Jahre gewohnt. Gewohnt und gegessen und geschlafen und gekocht und gebadet und alles! Und ohne elektrisches Licht, nur mit…also aus Kartoffeln. Kartoffeln hat man rausgenommen, Öl hineingebracht und einen Faden gehabt, der gebrannt hat am Abend. Das war alles. Und im Winter, wo der Abend um vier Uhr, fünf Uhr beginnt, bis um acht Uhr morgens. Natürlich keine Toilette. In die Toilette ist man gegangen…es war in Scharhorod…sagen wir ungefähr ein Kilometer, eineinhalb Kilometer…war ein Fluss. Und da war ein großer Platz, und das war die offizielle Toilette--
LSY: --da sind alle hingegangen--
YR: --da ist man hingegangen, alle! Und da sitzt man so und…entschuldigen Sie, aber so geht es. So ist es gegangen. Das Problem war, dass man immer gesucht hat, irgendein anderes Buch zu finden oder…Zeitungen gab es überhaupt nicht, gar nicht. Damit man irgendein Papier hat.
1/00:56:41
Ende von Teil 1
Teil 2
LSY: Habt ihr irgendwie die Möglichkeit gehabt zu erfahren, wie der Kriegsverlauf ist? Hat man irgendwas mitbekommen?
YR: Es ist irgendwie…irgendwie ist es durchgedrungen. Zum Beispiel: Ich war ziemlich gut informiert. Ich wusste immer…weil ich eben in der Küche von der Gendarmerie gearbeitet habe und dort waren immer Zeitungen. Nicht, dass ich die Zeitungen nehmen konnte, aber während ich Kartoffeln schälte, habe ich in der Zeitung irgendeinen Titel gelesen und wusste, dass das vorgegangen ist. Und andere Leute auch, die irgendeine Verbindung mit der rumänischen Gendarmerie hatten, oder mit den Behörden…die haben ja auch einen rumänischen…die haben es genannt…wie wurde er genannt? Also, so ein Stadtvorsitzender…einen Rumänen ernannt. Er wurde dann in Bukarest zum Tode verurteilt…der, der in Scharhorod war. Also bei ihm waren auch immer Leute, die gearbeitet…ich bin nie--
LSY: --die da arbeiten mussten--
YR: --ja. Im Garten…er hat in einer schönen Villa gewohnt. Hat es immer gebraucht, dass man ihm verschiedene Dienste leistet. Also durch ihn. Er war auch…er hat eine Frau gebraucht und hat eine Jüdin einer Ukrainerin vorgezogen. Das war die…wie es immer so geht…die Familie, die waren aus Bessarabien. Und es war eine schöne Frau. Eine sehr schöne Frau. Aber gut, er ist offiziell mit ihr überall…sie war seine rechte Hand. Man hat immer gesagt, dass sie eigentlich die ganze Sache leitet, nicht er. Und…nicht, dass man so informiert war, wie man heute ist. Aber im Allgemeinen. Wir wussten von Stalingrad. Wir wussten, wo ungefähr der Krieg war.
[Übergang/Schnitt.]
Wir wussten, wo die Alliierten im Westen gelandet waren. Die Sache mit Italien. Das war alles…ungefähr wussten wir, was vorgeht. Und haben gewartet. Bis im März [19]44. Im März [19]44 sind die Russen einmarschiert, aber die Rumänen sind schon vorher…zwei Wochen bevor die Russen gekommen sind, waren sie schon weg. Und es waren zwei Wochen, wo überhaupt keine Autorität und keine…nur die jüdische Kultusgemeinde hat existiert. Damals habe ich zum ersten Mal…zum ersten Mal haben wir gesehen: Es waren deutsche Soldaten, die von der Front weg sind. Die wollten nicht in russische Gefangenschaft kommen. Und die Deutschen, die bei uns an die Tür geklopft haben und: „Können wir ein Stückchen Brot haben?“ Die waren in schrecklichem Zustand. Und es war eine große Gruppe von Italienern, die von der Front weggelaufen sind, die sich versteckt haben. Bei uns im Haus waren zwei Italiener versteckt und haben gewartet, dass die Russen kommen sollen. Die haben sich…die wollten sich nicht mit den Deutschen zurückziehen. Die haben vorgezogen, dass die Russen kommen sollen. Die waren natürlich ohne Waffen und…aber die haben Essen bekommen, zusammen mit uns. Und im März [19]44 sind die Russen gekommen.
2/00:05:00
LSY: Habt ihr das als große Erleichterung empfunden?
YR: Natürlich! Ja! Da waren wir noch etwa einen Monat dort. Unsere Hausfrau, die wie ich gedacht habe, die war so von der Elite, von der sowjetischen Elite, noch vor dem Krieg. Sie wurde als Bürgermeisterin eingeschaltet, von den Russen, sofort. Und wir sind nach einem Monat…also, die rumänischen Juden, sagen wir so, die Bukowina-Juden, haben begonnen sich zu organisieren, in Gruppen. Und die Russen haben ein Stück von Rumänien besetzt. Ganz im Norden. Und unser Teil war doch nicht besetzt von den Russen. Aber es war ein Teil, eine Stadt…es gibt eine Stadt in Rumänien: Botoşani. Meine Mutter hat Verwandte in Botoşani gehabt. Und Botoşani war schon im Sommer [19]44 von den Russen besetzt. Da haben wir eine Gruppe organisiert. Mein Vater, meine Eltern und noch zwei Familien haben einen Wagen gekauft und ein Pferd. Und haben was wir noch gehabt haben in den Wagen gesteckt und zu Fuß begonnen durch Bessarabien nach Czernowitz zu gehen. Die Bevölkerung in Bessarabien hat sich schrecklich benommen. Geplündert und…haben uns alles weggenommen. Wir sind in Czernowitz angekommen ohne Gepäck, ohne gar nichts. Sie haben uns das Pferd weggenommen, den Wagen, alles. In Czernowitz…Czernowitz ist eine Stadt, die fast ohne Bevölkerung war. Alle Rumänen sind weg. Dann sind wir--
LSY: --alle Juden sind deportiert worden--
YR: --alle Juden sind…ja. Da haben wir…sind wir in eine Wohnung eingedrungen, ganz einfach. Und haben begonnen…daran gedacht uns irgendwie…wenn die Front weitergeht, in die Bukowina zu gehen, in den Süden der Bukowina, wo wir gewohnt haben. Aber die Russen haben sich auch nicht sehr schön benommen…auch alles geplündert. Fortwährend sind Soldaten gekommen und haben alles was in der Wohnung war weggenommen. Und die, die in die Wohnung gekommen sind…da war alles eine normale Wohnung von den Leuten, die geflohen sind…weggeflohen. Und in einer Nacht sind die gekommen und haben mich zum Militär genommen. Wir wussten das schon: Die haben die ganze Jugend. Was war geschehen? In der Ukraine gibt es ein…Donezk-Gebiet. Das ist ein Gebiet von Gruben mit Metall, Eisen und Magnesium…und ein sehr reiches. Aber die haben keine Arbeitskraft gehabt, die Russen. Und da haben die in der Bukowina und in der ganzen… wo die besetzt haben, wo die befreit haben…die Jugend, die noch fürs Militär zu jung war, zur Arbeit in Donezk genommen. Und am nächsten Tag…man hat uns in irgendeine Schule genommen, da waren wir einige hundert Jugendliche. Mein Vater…irgendwie, ich weiß nicht genau, wie das geschehen war…ihm ist gelungen durch jemanden in Czernowitz, den er gekannt hat, irgendwie so, mich von dort herauszunehmen. Und da hat er gesagt: „So! Weg von den Russen! Wir müssen ins rumänische Gebiet kommen!“ Und dann, nachdem meine Eltern, meine Mutter Verwandte in Botoşani gehabt hat, sind wir wieder zu Fuß. Begonnen zu gehen…da war noch keine Grenze zwischen Rumänien und Russland und der Ukraine. Gegangen und nach einer Woche sind wir nach Botoşani angekommen. Botoşani war wieder eine Stadt, die noch zehn andere als Czernowitz…ich glaube, ganz Botoşani ist eine Stadt von 200.000, 300.000 Einwohnern. Ich glaube, vielleicht waren 500 Juden dort. Kein Rumäne. Nicht einer.
2/00:11:00
LSY: Sind alle geflohen?
YR: Alle sind geflohen, vor den Russen. Haben sich gefürchtet. Dann haben wir sofort eine Polizei gegründet. Und ungefähr…zufällig, jemand von der Familie von meiner Mutter war Chef der Polizei. Wie ich gehört habe, ein Jude als Chef der Polizei. [Lacht.] Und wir haben begonnen…da war ein…im Haus, wo wir gewohnt haben…wir haben ganz einfach eine Wohnung besetzt. Unten war ein Geschäft, ein Wurst…Würste usw. War jemand, der gearbeitet hat und der hat mich genommen. Ich habe bei ihm gearbeitet, weil man musste ja was…Geld machen, um irgendwie zu leben. Acht Stunden mit der Mühle gemahlen. Da ist dieser Mann, der Polizei-Chef war – irgendein weit Verwandter von meiner Mutter – gekommen und sagt mir: Du kannst…ist zu Besuch gekommen am Abend. Und sagt: „Du kannst Russisch?“ „Ja, ich verstehe ziemlich gut, ich spreche ziemlich gut.“ Weil ich ganz einfach gelernt habe vom Buch von Gorki und von anderen Büchern. Ich habe kein Wort, ich habe kein Alphabet, überhaupt gar nichts. Aber in dieser Zeit, wo ich in Scharhorod war, weil ich noch als Kind gewöhnt war zu lesen, habe ich gelesen und habe damit mehr oder weniger Russisch verstanden. Sagt er: „Weißt du, die Russen, die russische Kommandantur, die suchen einen Übersetzer. Komm, ich bring dich morgen früh zu ihnen, probiere!“ So bin ich zur Kommandantur, zur russischen Kommandantur, gekommen und die haben mich als Übersetzer.
LSY: Vom Russischen ins Rumänische oder was hast du übersetzt?
YR: Ja. Übersetzer ins Rumänische, natürlich. Deutsch war überhaupt nicht.
LSY: Ihr konntet also noch alle Rumänisch, natürlich?
YR: Ja. Ich habe Rumänisch in der Schule gelernt. Weder zu Hause noch anderswo. Zu Hause haben wir immer Deutsch gesprochen. Aber in der Schule wurde Rumänisch gelernt. Und da bin ich auf einmal in die russische Armee gekommen. Ich war natürlich in der…wie ich angezogen war, konnten die mich nicht… Haben die mir eine Uniform gegeben. Ich war zwar nicht als Soldat, aber… Und da hat sich herausgestellt, dass dieses Kommando, das in Botoşani…das russische Kommando…das war ein Kommando das die Russen vorbereitet haben, um das rumänische Territorium das die besetzen werden, zu administrieren, zu…die ganze--
LSY: --verwalten.
YR: --verwalten, ja. Das war im Mai oder Juni. Mai, Juni [19]44. Da waren noch…die Rumänen waren noch gegen die Russen. Die rumänische Armee. Und da haben die Russen begonnen vorzugehen, im August. Mitte August. Und Rumänien ist vom Krieg…hat sich von den Deutschen losgesagt und ist auf die andere Seite übergegangen. Und unser Kommando ist nach Bukarest übersiedelt und wurde in Bukarest die Verbindung zwischen der rumänischen Regierung und der sowjetischen Regierung. Das war dieses Kommando.
2/00:15:27
LSY: Du bist dann also nach Bukarest?
YR: Und ich bin mit ihnen mit! Weil ich ein Teil von ihnen war. So bin ich nach Bukarest gekommen. Es gibt verschiedene… Da hat sich herausgestellt…ich bin…also der Umsturz in Bukarest war am 23. August. Am 30. August sind wir in Bukarest angekommen, einige Tage nach dem Umsturz. Dieses Kommando, ich weiß nicht ob das jemanden…ob das Sie interessiert?
LSY: Mich interessiert das, ja!
YR: Ja?
LSY: Ja, sicher!
YR: Also dieses Kommando…die erste Sache, das die gesucht haben wie die nach Bukarest gekommen sind, das war ein…General Sidorov war der oberste dieses…das hat geheißen Специальное управление вторая фронта [russ.: Spezialverwaltung der zweiten Front]. Das heißt, die besondere Direktion der zweiten Front. Die zweite Front war die Front gegen Rumänien. Und das war irgendeine Spezialorganisation, die gegründet wurde, um das sowjetische Territorium zu verwalten. Die erste Sache: Man muss einen Pass haben. Also, wir sind stehen geblieben, wie wir in Bukarest angekommen sind. Eine Kolonne von 40, 50 Autos. Viele Lastwagen und Personenwagen…und sind bei der russischen Botschaft, die früher vor dem Krieg die sowjetische Botschaft war, aber die…die hatten verlassen, die rumänische Armee war dort. Und es waren Verhandlungen. Also ist es dazu gekommen: Die Russen allein haben nicht…wollten nicht hineingehen, weil die Russen haben das für die Diplomatie gehalten. Die höheren…das war die Verbindung in Moskau. Also sind wir weitergegangen und wohin kann man weitergehen, um so ein Kommando zu installieren? In die deutsche Gesandtschaft. Sind wir zur deutschen Gesandtschaft. Die deutsche Gesandtschaft war auch von den Rumänen erhalten. Die Deutschen in Bukarest waren nämlich folgendes: Der deutsche Gesandte in Bukarest war Freiherr Ritter von Killinger. Er war ein Freund von Hitler. Man kann ihn heute in Google finden. Viel über den Herrn Killinger. Er hat Selbstmord begangen. Wie der Umsturz in Rumänien gekommen ist und die Rumänen wollten ihn gefangen nehmen, hat er Selbstmord begangen. Und die Rumänen haben die deutsche Botschaft ganz einfach gesperrt…die Polizei, die rumänische Polizei…und wollten uns auch nicht hineinlassen.
Da waren Verhandlungen. Den ganzen Tag. Wir sind zu Mittag ungefähr angekommen nach Bukarest. Da waren Verhandlungen, man hat versucht…hineinzugehen war unmöglich. Am sechsten Tag, früh, hat man ihn…nicht uns, sondern eine russische Truppe…hingestellt, die Rumänen weggeschickt und sie haben die deutsche Botschaft besetzt. Das waren einige Tage voll schwerer Arbeit. Natürlich haben die sofort, die Russen, die ganzen Archive, alles eingepackt und per Flugzeug nach Moskau geschickt. Es waren dort viele Dokumente, die wollten alles in Moskau haben. Und damit hat meine Arbeit in Bukarest begonnen. [Lacht.] Und dann haben die viel Gold, sehr viel Gold, ich kann genau…Kisten voll Goldstangen waren in der…alles ist direkt zum Flughafen und direkt nach Moskau. Das ist nach Moskau gegangen. Und dann hat sich die Sache…es waren Lebensmittel. Ich weiß nicht…ich glaube, es waren solche Schachteln mit Schinken, Blechschachteln mit Schinken. Ich glaube, ich habe noch [19]45 von dem Schinken gegessen. [Lacht.] Und dort habe ich mir eine ganze Garderobe beschafft und bin von den russischen…mit der Uniform hinaus und habe mir die ganze toilette von Doktor Killinger genommen. Er war ein bissl [bisschen]…er war fester als ich, er war dicker als ich und die Ärmel von den Händen waren ein bissl lang, aber [19]44, [19]45 habe ich nur die Anzüge von Doktor Killinger getragen. Ich habe keine Möglichkeit gehabt andere zu besitzen. Sein Gewand, seine Hemden und seine Krawatten und mit einem Monogramm hier. [Zeigt auf sein Handgelenk.] Aber da, am Anfang [19]45, nachdem schon die Verbindungen mit Amerika und England…die wollten nicht, dass die Russen das rumänische…sich so entwickelt wie…haben sie die alliierte Kontrollkommission gegründet. Die anstatt dieses Kommandos gekommen sind. Wo es schon Engländer und Amerikaner gab, da haben die mich freigelassen. Und dann bin ich frei geworden, weil ich ja kein Soldat war.
2/00:22:30
LSY: Und dann bist du zurück zu deiner Familie?
YR: Ich habe meine Familie nach Bukarest gebracht. In den Verhandlungen mit der rumänischen Polizei, um in die deutsche Gesandtschaft reinzukommen…der rumänische Polizeioffizier mit dem wir verhandelt haben…ich war nur Übersetzer. Also ich habe mich mit ihm irgendwie freundlich…wir wurden Freunde. Und noch während ich gearbeitet habe, dort bei den Russen, während die Russen noch waren, habe ich ihn gebeten: Ich will meine Familie bringen. Ich will meine Eltern aus Botoşani herbringen. „Verschaffe mir eine Wohnung!“ Hat er mir eine Wohnung verschafft. Die Wohnung war die Wohnung, die der Vertreter der deutschen Akademie in Bukarest gehabt hat. Er war natürlich weg. Supprian war sein Name. Und ich habe eine Wohnung bekommen, vollkommen eingerichtet mit Bibliothek, mit allem. Was für mich sehr interessant war, dass ich in dieser Wohnung Mein Kampf und alle Bücher gehabt hat, von welchen ich gehört habe, aber ich nie gelesen habe. Und ich habe alle gelesen. Ich glaube, Mein Kampf habe ich noch hier. Und da habe ich meine…durch die Verbindungen, durch die Russen…das russische Kommando hat einen Kraftwagen, ein Auto nach Botoşani geschickt, haben mir meine Familie gebracht, haben sie in diese Wohnung gebracht und dann habe ich mit ihnen zusammengewohnt.
LSY: Die Schwester auch?
YR: Ja. Die war da. Mit der Wohnung ist auch was Interessantes. Da kann ich Ihnen auch was Interessantes erzählen. Nach vielen Jahren habe ich in der rumänischen Nachrichtenagentur gearbeitet, AGERPRES [Agenția Națională de Presă].
2/00:25:08
LSY: Ihr seid dann in Bukarest geblieben, nach dem Krieg?
YR: Ich bin in Bukarest geblieben. Meine Eltern…ich und meine Schwester. Meine Eltern sind in die Bukowina zurück. Mein Vater…seine Säge war vollkommen vernichtet, hat sie wiederaufgebaut und hat seine normale Arbeit wieder begonnen, bis [19]47. [19]48 ist alles nationalisiert worden, alles weggenommen. Und ich bin mit meiner Schwester in Bukarest geblieben. Und irgendwo in…ich glaube, es war [19]46…bekomme ich einen Auftrag, die Wohnung freizugeben. Ich habe begonnen mich zu interessieren, wie das…die haben gesagt, diese Wohnung wurde einmal von jemandem weggenommen und irgendwie so…ich wusste nicht ganz klar was geschehen ist. Und habe die Wohnung aufgegeben und habe eine Wohnung gemietet. Normal. Eine andere Wohnung. Nach vielen Jahren, wie ich schon in AGERPRES gearbeitet habe, war ich bei der…irgendeine Versammlung, wo wir zusammenkommen sind und habe jemanden kennengelernt…jemanden, der irgendwie in Ihrem Alter war, indem Sie jetzt sind. Und haben zu sprechen begonnen. Und da hat sich herausgestellt: Sie war die Tochter des eigentlichen Eigentümers der Wohnung, wo ich gewohnt habe, der ein Jude war. Und dem die Rumänen die Wohnung weggenommen haben. Und er hat die Wohnung wieder verlangt, zurückbekommen. So, dass--
LSY: --der Kreis schließt sich.
YR: Ja, der Kreis schließt sich. Also…ich glaube, das ist ungefähr was ich über den Krieg…es gibt noch viele andere Sachen. Ich werde so sagen: Für mich, natürlich die schönsten Jahre zwischen fünfzehn und achtzehn Jahre zu verbringen in so einem Ghetto, das war überhaupt kein Vergnügen. Aber diese Zeit hat mich auch irgendwie dazu gebracht, dass ich viele Sachen durchgemacht habe im Leben, die andere Leute vielleicht…für sie wäre es schwerer gewesen als für mich.
LSY: Andere Leute…vielleicht mehr zerbrochen hätte.
YR: Ja. Da habe ich…sofort wie ich von der russischen Armee befreit wurde…nicht der Armee, sondern der Arbeit befreit wurde…habe ich begonnen zu lernen, um das Lyzeum zu beenden. Und habe in, ich glaube, zwei Jahren…habe ich die letzten vier, fünf Jahre mit so Prüfungen gemacht. Und dann war ich in Prüfungen und dann bin ich auf das Technikum gegangen und habe auf der technischen Fakultät gelernt. Und da habe ich den größten Fehler meines Lebens gemacht. Ich habe einen Cousin gehabt…er lebt nicht mehr. Noch vor dem Krieg, er war älter als ich…vier, fünf Jahre älter. Er war irgendwie mit der kommunistischen Bewegung in Rumänien verbunden und musste weg. Man wollte ihn verhaften…hat ihn verhaftet. Irgendwie so was und dann ist er weg. Ist nach Frankreich gekommen und von Frankreich ist er in den spanischen Krieg gegangen, in die Internationale Brigade. Wie die Sache in Spanien geendet hat, ist er nach Moskau gegangen. Wir haben überhaupt keine Verbindung gehabt mit ihm. Die ganze Familie wusste, dass Bibi irgendwo lebt, aber wir wussten gar nichts von ihm. Er ist nach Moskau gegangen. In Moskau hat er geheiratet, hat zu arbeiten begonnen und dann ist der Krieg gekommen. Da war irgendein Bombenangriff auf Moskau, sind seine Frau und seine Tochter umgekommen. Er war in der Armee und nachdem er aus der Bukowina war und ein wenig Ukrainisch…nachdem in der Bukowina jeder ein bisschen Ukrainisch gesprochen hat, nicht nur Russisch…haben die Russen ihn über die Front nach Belorussland…wie sagt man?
2/00:31:19
LSY: Weißrussland.
YR: Ja, nach Weißrussland geschickt, um die Partisanen zu organisieren. Und nach Stalingrad…wie sie viele rumänische Gefangene gehabt haben. Die Hälfte der rumänischen Armee war ja in Stalingrad…sind gekommen. Haben die ihn zurückgebracht und er ist als rumänischer Offizier ins Lager gebracht worden und hat begonnen zu arbeiten. Er war Kommunist. Er hat begonnen zu arbeiten, um die rumänischen Gefangenen zu organisieren, eine rumänische…und die haben eine Brigade, eine rumänische Brigade…zwei Brigaden aufgebaut, die mit den Russen gegen die Rumänen gekämpft haben. Also natürlich…nach dem Krieg war er ein großer Held. Ja! General! Er war der Befehlshaber von der ganzen Grenzpolizei und er war ein großes Tier. Und er hat mich…wie ich das Studium beendet hatte, wie ich ganz am Ende war…hat er mir vorgeschlagen: „Schau, wo wirst du denn arbeiten als Ingenieur? In einer Fabrik? Wozu brauchst du das? Wir brauchen Leute.“ Währenddessen hat die kommunistische Partei schon die rumänische Regierung…das kommunistische System eingerichtet. Und die Partei hatte gerade damals in den Jahren [19]49, [19]50…haben die ein Netz aufgebaut, ein Telefonnetz, besonderes Telefonnetz, für die Partei. Nur für die Parteileitung. Parallel mit dem normalen Telefonnetz. Und da brauchten sie technische Leute. Und er hat mich in das hineingebracht. Ich bin in eine Offiziersschule gegangen, war drei Wochen in einer Offiziersschule. Ich habe kein Militär gemacht. In drei Wochen war ich Offizier und bin als Offizier herausgekommen, als Leutnant und habe sofort in dieser technischen Sache zu arbeiten begonnen. Und da bin ich im…deshalb bin ich dortgeblieben, sozusagen. Bin natürlich in die Partei eingetreten und alles was dazu gehört.
LSY: Aber hast du auch mit dem Kommunismus sympathisiert?
YR: Ja, natürlich! Ich habe gedacht, dass das die Lösung ist. Weil die Idee ja sehr schön ist. Und dann bin ich…also nach einer Zeit bin ich…dort ist es ja nicht so: Kommunismus ist nicht so, dass du hingehst und hergehst. Du machst was man dir sagt. Die sorgen schon für alles. Da haben die mich gebraucht in der Nachrichtenagentur. Die haben einen Funkposten, Funksender gegründet. Einen Sender für das Ausland und da bin ich eben der Leiter dieses Senders geworden. Aber dann bin ich immer tiefer in die Politik hineingebracht worden. Eines Tages hat man entdeckt…sie suchen ja immer…dass ich nicht erklärt habe, dass meine Mutter in der WIZO war.
2/00:35:29
LSY: Aber sie wussten, dass du Jude bist?
YR: Ja, dass ich Jude bin, das wusste man.
LSY: Aber das haben sie als Zionismus--
YR: --dass meine Mutter Zionistin war. Und dann wurde ich aus der Partei ausgeschlossen und war ein halbes Jahr ohne Arbeit. Und dort gibt es keine…die haben ja keine Arbeitslosen. Im Kommunismus gibt es keine Arbeitslosen, deswegen gibt es auch kein Arbeitslosengeld. Und dann habe ich einen Professor gefunden, der mein Professor in der Fakultät war. Der war Direktor, Generaldirektor in einem großen Unternehmen in Bukarest. Die Radio und Fernsehen aufgebaut haben. Und bin zu ihm gegangen und habe ihm meine Sache erzählt. Meine Situation. Währenddessen habe ich geheiratet, ein Kind gehabt und ich hatte kein Geld, um Brot zu kaufen.
LSY: Woher kam deine Frau? Aus Bukarest?
YR: Aus Rumänien. Ja, aus Rumänien. Und er hat mich wirklich…er war sehr, sehr…hat sich sehr schön benommen. Hat gesagt: „Du gehst morgen zum Personal…du stellst einen Bogen auf. Schreibe nicht, dass du gelernt hast, schreibe gar nichts. Du kommst als Arbeiter.“ Und wirklich, so war es. Ich bin als Arbeiter eingetreten und…langsam als ich in einer Abteilung begonnen habe, war ich in der Meteorologie und so habe ich… Währenddessen habe ich auch begonnen nach Israel auszureisen zu versuchen. Aber natürlich habe ich einen schweren Sack gehabt, wegen dieser Sache, dass ich das ganze System gekannt hatte…die Verbindung in der Partei. Das ist bei ihnen…man bleibt damit das ganze Leben.
LSY: Ab wann hattest du die Idee nach Israel auszuwandern?
YR: Das ist schon…so langsam ist das gekommen, weil man ja gesehen hat was der Kommunismus ist und wie es geht. Ich meine, es kommt die Enttäuschung, was man geglaubt hat und was eigentlich vorgeht. Und langsam, langsam beginnt man zu denken und die Realität zu sehen. Das war ein Prozess, das ist nicht auf einmal gekommen. Und da haben…meine Eltern und meine Schwester sind nicht ausgewandert wegen mir. Ich habe sie gehalten. Sie wollten mich nicht dort lassen und auswandern.
LSY: Die hatten auch schon daran gedacht, davor?
YR: Die haben schon lange Zeit daran gedacht. Ich habe sie dort gehalten. Wie die Sache mit mir geschehen ist, haben die sofort angefragt und wirklich bekommen! Sie haben die Ausreise bekommen.
LSY: Das musste…man brauchte eine Ausreisegenehmigung von den rumänischen Behörden?
YR: Von den rumänischen, ja. Die haben die Ausreise bekommen. Und ich nicht. Mir hat man gesagt: „No.“ Das war ein Problem. Wir wussten nicht…was tut man jetzt? Also ich habe gesagt, wir waren…sind jetzt gekommen die Fahrt und sie sind wirklich in [19]62 hergekommen und ich bin dortgeblieben. Und dann haben meine Eltern versucht hier…verschiedenes zu unternehmen. Es waren ja damals…man hat Geld gegeben für Juden und man hat…es war ein Jude aus England, Jacobs war sein Name. Er hat Verhandlungen mit der rumänischen Regierung gehabt und hat für jeden Juden, den die hinauslassen, weiß nicht, 5.000 Dollar oder so was bezahlt. Das war natürlich Geld, das man irgendwie geschafft hat. Meine Eltern haben das Geld aufgebracht, auch durch einen Freund von mir aus Scharhorod. Während der in Kanada war…der hat ihnen Geld gegeben und man hat die Summe aufgebracht, den der Herr Jacobs…und der Herr Jacobs ist hier und da nach Bukarest gekommen und hat verhandelt. Und eines Tages habe ich ihm…ich wusste davon…ich habe auf ihn in einem Hotel gewartet und habe mit ihm gesprochen und er hat mir gesagt: „Deine Sache ist erledigt. Du bekommst einen Pass.“ Und es vergeht ein Monat und es vergehen zwei Monate, drei Monate und ich bekomme nichts. Herr Jacobs kommt ein nächstes Mal, ich suche ihn wieder auf und er sagt mir: „Leider, die erlauben dir nicht. Wie es zu deinem Namen gekommen ist, haben die gesagt, no!“
2/00:41:21
Dann habe ich…meine Eltern haben hier…der Finanzminister von Israel, damals, war ein Cousin von meinem Vater…damit Sie sehen, wie die Verbindungen gehen. Er hat einen Freund gehabt, der Bürgermeister von Florenz war. Der Bürgermeister von Florenz hat einen Freund gehabt, der Botschafter von Italien in Bukarest war. Durch diese Verbindung habe ich eines Tages einen Telefonanruf bekommen, in die italienische Gesandtschaft zu kommen. Jetzt…du musst wissen, in einem kommunistischen Staat in eine Gesandtschaft von einem kapitalistischen Staat…das ist schon für sich eine sehr gewagte Sache. Und ich war…ich wusste nicht was zu tun. Aber man ladet mich ein…ich wusste nicht…weil meine Eltern auch nicht gewusst haben von der Verbindung…dass diese Verbindung--
LSY: --funktioniert.
YR: Ja. Also, ich bin hingegangen, irgendein Beamter hat mich empfangen und hat gesagt: „Schau, du gehst morgen und verlangst, dass man dich nach Italien auswandern lässt. Und schreibe dort, dass deine ganze Familie in Italien wohnt.“ Sage ich: „Wie kann ich das tun? Ich habe das bis jetzt zehn Mal gemacht und in allen meinen Papieren steht geschrieben, dass meine ganze Familie in Israel wohnt.“ Da sagt er mir: „Schau, tu was ich dir sage und du wirst sehen, dass es alles…“ Das ist keine leichte Sache, hinzugehen und zu lügen. Ich wusste ja, dass sie nicht…fast sitze ich im Gefängnis. Aber ich habe es gemacht. Bin hingegangen und habe geschrieben, dass meine ganze Familie in Italien ist und, dass ich nach Italien fahren will. Und nach einer Woche habe ich eine Ausreise gehabt nach Italien.
LSY: Auch für deine Frau und deine Tochter…Sohn?
YR: Ja, auch für die Frau und Sohn. Und dabei bin ich schon…ich war schon in der israelischen Botschaft bekannt. Ich habe dort einen auch befreundet, weil mein Fall war schon so…ich habe sechzehnmal…sechzehnmal versucht auszureisen und man hat mir nein gesagt. Das war das siebzehnte Mal. Der Beamte dort bei der Polizei…nämlich, in Rumänien beschäftigt sich die Polizei mit diesen Sachen. Sagt mir der Beamte: „Aber du weißt ja, dass man dir nein sagt, dass man dir nicht bewilligt auszureisen. Wozu machst du diese Anstrengungen?“ „Schau, es ist mein Recht zu verlangen. Was geschehen wird, werden wir sehen.“ Und das hat man erlaubt. Also, ich bin sofort zur israelischen Gesandtschaft gegangen und dort hat man arrangiert, dass ich eine Karte nach Rom…die Karte habe ich nach Rom genommen. Aber mit einem Flug, der in Wien gelandet ist. Und in Wien sind wir ausgestiegen und zu סוכנות [hebr.: Agentur, meint: Sochnut, Jewish Agency for Israel] gegangen und nach zwei Tagen war ich in Jerusalem.
2/00:45:40
LSY: Welches Jahr war das?
YR: Das war [19]68.
LSY: [19]68 seid ihr hier angekommen.
YR: Ja. Im Mai [19]68. Und das, der Rest ist schon…
Ende von Teil 2
Teil 3
LSY: Und wie war es für dich die ersten Jahre dich hier einzuleben in Israel?
YR: Wie gesagt, mein Freund…wir waren zusammen in Scharhorod und waren sehr befreundet. Haben auch ganz nahe gewohnt. Er kam sofort nach dem Krieg mit seiner Familie. Und es war eine Freundschaft, die so…wir waren befreundet und meine Schwester war mit seiner Schwester befreundet und die Eltern waren mit den Eltern…das war eine sehr enge Verbindung. Die sind…aber sofort [19]45. Wir sind nach Bukarest viel früher…wir sind gekommen, wie ich Ihnen erzählt habe. Die sind erst…die sind in Bessarabien geblieben. Die dachten…die sind Bessarabien…aus Belz glaube ich…ja aus Belz. Und haben gedacht, in Bessarabien wieder das Leben zu beginnen. Aber wie die gesehen haben, wie es geht mit dem Kommunismus…[19]64 war irgendeine Verständigung zwischen den Rumänen und den Russen, dass die erlaubt haben der jüdischen Bevölkerung aus Russland weg und nach Rumänien zu kommen. Die sind nach Bukarest gekommen und das ist so geblieben zwischen uns bis heute. Wie ich ihn das erste Mal getroffen habe, war er in Fetzen. Habe ich ihn zu mir nach Hause genommen. Ich war schon… [Lacht.] Und habe ihm einen Anzug gegeben und…das kann er mir nicht vergessen. Aber die sind noch vor uns weg aus Rumänien. Die sind nach Deutschland gegangen, waren, ich glaube, ein Jahr oder zwei Jahre in Deutschland. Und damals war der große Boom in Deutschland, sofort nach dem Krieg. Sein Vater war eigentlich ein Glaser, in der Glasindustrie. Und die haben irgendetwas…man hat ja sehr viel gebaut…begonnen zu bauen in Deutschland. Glas und Fenster und Türen, das waren sehr wichtige Sachen. Die haben ziemlich viel Geld gemacht in Deutschland, aber sie sind nicht in Deutschland geblieben. Sie sind nach Kanada weitergegangen und haben in Kanada ein ganzes Imperium aufgebaut, Aluminium und Glas, eine große Industrie. Ich habe irgendwo…das ist eine Gruppe, die zwanzig, 25 Unternehmen gehabt hat. Er hat das Geld für mich gegeben.
LSY: Das war der Freund, der--
YR: --ja. Und er hat darauf gedrungen, dass wenn ich rauskomme, die erste Sache die ich machen soll, ich soll ihn benachrichtigen. Ich soll ihm sagen wo ich bin. Und wirklich in der ersten Nacht in Wien, wie wir dort waren…ich hatte ein Telefon und habe ihn angerufen. Ich habe ihn gesucht, habe ihn nicht gefunden. Ich habe seinen Bruder gefunden. Der Bruder sagt mir: „Er war in Israel jetzt, aber jetzt ist er auf seiner Reise nach Hause in London. Ich werde ihm sagen, dass du angerufen hast, dass du frei bist.“ Da hat er mich…nach einer halben Stunde habe ich sofort einen Anruf bekommen. Und er hat mir gesagt: „So. Morgen früh komme ich zu dir.“ Und ist von London am nächsten Tag nach Wien gekommen. Wir haben zwei Tage zusammen verbracht. Zwei Tage, die für mich…was ganz Anderes. Bis ich weggekommen…er ist weiter zurück nach Kanada gegangen. So er hat darauf gedrungen, dass ich nach Kanada komme, dass ich nicht in Israel bleibe. Er wollte das sehr. Und ich bin nach Israel gekommen. Meine Eltern waren in einer sehr schlechten Situation. Meine Eltern waren erstens alt, wie sie hergekommen sind. Mein Vater war über 70, wie die hergekommen sind.
LSY: Dann sich noch einmal einzuleben--
YR: --das war nicht leicht. Dabei…aber im ersten Jahr, wie die hergekommen sind…meine Schwester war schon in Rumänien krank. Die hat Brustkrebs gehabt. Und sie ist hier krank geworden und ist gestorben. Ihr Mann, der nicht nach Israel kommen wollte – er ist wegen ihr gekommen, weil sie darauf gedrungen hat – ist in eine psychotische Situation gekommen. Nach drei Monaten nachdem sie gestorben ist, ist er gestorben. Und haben einen Sohn gelassen, der damals vierzehn, fünfzehn Jahre alt war. Und meine Eltern sind ohne die Tochter geblieben. Ich war in Rumänien und mit dem jungen Kind. Das war nicht leicht für sie. Und ich…habe sie mitgebracht. In dieser Situation, wenn ich schon in Israel komme, kann ich sie nicht hierlassen und wegmachen. Aber er hat darauf gedrungen, haben wir ein Abkommen gemacht, dass ich für ein halbes Jahr nach Kanada komme und wir dann beschließen.
3/00:06:03
Und ich bin nach einigen Monaten, drei Monaten oder vier Monaten nachdem ich in Israel war, nach Kanada gefahren und habe in Kanada in seinem Unternehmen zu arbeiten begonnen. Aber ich habe mich sehr schlecht gefühlt in Kanada. Ich habe mich nicht gut gefühlt. Ich habe gut verdient, bei allem. Ich war wie seine Hilfe. Aber meine Frau und mein Sohn sind hiergeblieben. Die sind nicht mit mir gekommen. Wir haben eine Wohnung gemietet hier und die sind dageblieben und nach vier, fünf Monaten bin ich zurückgekommen. Weil ich gesehen habe, dass es nicht für mich ist. Ich habe mich nicht gut gefühlt in Kanada. In Israel habe ich mich gut gefühlt. Bin zurückgekommen und da habe ich begonnen zu suchen. Ich war am Anfang im Unternehmen dieses…was da die Fabrik hier gekauft hat, in Haifa. Ich habe in Haifa gewohnt und ich war sein Vertreter in der Leitung dieser Fabrik, aber das war auch…nicht so gegangen. Und wir haben beschlossen, dass ich was anderes suche. Zum Ende habe ich…bin ich in das Sinai gegangen. Unser Sinai. Da waren wir groß, da war die Petroleumindustrie in Abu Rudeis. Ich weiß nicht, ob du das kennst. Und die haben einen elektrischen Ingenieur gesucht und ich bin hingegangen und wurde der Leiter der elektrischen Abteilung. Dabei war das die Gesellschaft die gegründet wurde, um dieses Unternehmen…das ägyptische Petroleum zu verwalten…wurde gegründet.
[Übergang/Schnitt.]
Aber das Feld hat den Ägyptern gehört. Aber die haben auch einen italienischen Partner gehabt. Und die Italiener haben auch Personal gehabt…so, dass mein Stellvertreter Italiener war, ein italienischer Ingenieur. Ich habe mich mit ihm sehr gut verstanden, weil Rumänisch sehr ähnlich ist zu Italienisch. Wir haben uns sehr gut verstanden. Ich war dort sieben, acht Jahre, bis wir uns zurückgezogen haben von dort.
Dann habe ich hier Arbeit gesucht. Habe bei einer Firma…auch eine Elektrofirma, die viel im Iran gearbeitet hat. Die israelischen Firmen haben ja viel im Iran damals unter dem Schah gearbeitet. Die haben ein großes Projekt gehabt im Iran und wir waren eigentlich subcontractors einer großen amerikanischen Firma, die dort eine Fabrik hatte. Das Projekt war noch nicht fertig, noch nicht für den elektrischen Teil fertig. Da hat man mir gesagt: „Schau, bis du nach Persien fährst, wir brauchen dich in Be'er Scheva.“ Damals hat man die großen Unternehmen in Be'er Scheva gebaut, [unklar] und Makhteshim [Makhteshim Chemical Works Ltd.] in Ramat Chovav. Und ich bin nach Be'er Scheva gegangen. Das war so, dass ich am Sonntag nach Be'er Scheva gefahren bin und bin…die haben mir Freitag freigegeben. Damals hat man noch Freitag gearbeitet, aber ich habe den Freitag frei bekommen und bin Freitag zurück nach Tel Aviv gekommen, aber währenddessen war meine Frau mit zwei kleinen Kindern. Ich habe mich währenddessen geschieden von meiner Frau und habe hier wieder geheiratet. Und habe meine Frau mit zwei kleinen Kindern gehabt, die nicht sehr zufrieden waren damit, dass ich die ganze Woche nicht zu Hause bin.
3/00:10:52
Da sage ich dem…also beiseite… das Unternehmen, wo ich gearbeitet habe, da war ein Mann, der aus Deutschland gekommen ist, nach Israel. Er war Elektriker. Hat in Deutschland als Elektriker gearbeitet, hat in Israel als Elektriker gearbeitet und hat auch ein ganz großes…Feuchtwanger war das, ein ganz großes Unternehmen, die größte Elektrotechnikfirma in Israel aufgebaut hat. Da sage ich dem Herrn Feuchtwanger: „Schau, meine Frau ist…sie kann nicht die ganze Woche alleine sein.“ Sagt er: „Das ist ganz klar! Schau, nimm eine Wohnung, miete eine Wohnung in Be'er Scheva, wir werden die Wohnung bezahlen und nimm deine Frau. Bitte. Ist in Ordnung.“ Habe ich wirklich so getan. Und wir haben was ganz Provisorisches…wir sind ganz provisorisch nach Be'er Scheva gegangen. Und dabei habe ich auch gedacht, ein gutes Geschäft zu machen. Weil wir eine Wohnung hatten in Tel Aviv, im Hochzentrum. Ganz nahe, fünf Minuten zu Fuß zu Riviah…eine gute Gegend. Aber die Wohnung hat einen Fehler gehabt und wir wollten die Wohnung weghaben.
LSY: Loswerden.
YR: Wechseln. Wir haben die Wohnung verkauft. Wir haben gesagt, wir fahren nach Be‘er [Scheva]für drei…werden viel Geld machen, kommen und eine Villa bauen. Und haben die Familie nach Be‘er Scheva gebracht. Und bis das Projekt in Persien fertig war und man schon fahren konnte, hat die ganze Sache in Persien begonnen.
LSY: Gab es die Revolution.
YR: Ja. Und da hatte die israelische…es war noch bevor die…der Schah war noch da, aber die israelische Regierung hat beschlossen, dass man nicht erlaubt mit Familien nach Persien…man kann fahren, aber nicht mit Familien. Habe ich gesagt: „Ohne Familie fahre ich nicht.“ „Ah, du wirst, alle drei Monate wirst du Urlaub nehmen, das geht nicht.“ Und so haben wir beschlossen, dass wir nicht mehr nach Tel Aviv zurückkommen. Sind in Be‘er Scheva geblieben. Ich habe in Be‘er Scheva weiter bei Feuchtwanger gearbeitet. Dann habe ich gearbeitet…neben [unklar] gibt es eine Gruppe von Unternehmen, die den Kibbuzim gehört. Habe ich bei ihnen gearbeitet und dort gearbeitet bis ich auf Pension gegangen bin. Und da habe ich…aber ich wollte nicht ohne Arbeit bleiben und habe weiter selbstständig gearbeitet bis zum heutigen Tag. Ich habe drei große Projekte geleitet in Ägypten, in Alexandria. Zwei große in Alexandria und eines in Kahire [kopt.: Kairo]. Ich habe ein ziemlich großes Projekt in Izmir in der Türkei. Und viele Sachen, die ich gemacht habe.
LSY: Hast du dich sehr schnell wohl gefühlt in Israel?
YR: Ja! Vom ersten Moment. Effektiv vom ersten Moment habe ich mich zu Hause gefunden. Das war der Unterschied zwischen Israel und Kanada. In Kanada habe ich gesehen meinen Freund, Rubin. Wir sind bis heute sehr befreundet. Währenddessen ist er schon lange nicht mehr in Kanada. Er ist heute in [unklar]. Mit all seinem Geld und mit all seinem Protz und so…er ist nicht zu Hause. Und wenn er…es gibt verschiedene Clubs wo er sein will. Er kann nicht sein, weil er kein Kanadier ist, kein richtiger Kanadier. Er hat die kanadische Staatsbürgerschaft, aber man nimmt ihn nicht auf…und verschiedene andere Sachen. Das hat mich dazu gebracht, das wäre nichts für mich. Ich wollte was sagen, ich habe…es ist vielleicht…nicht gewöhnlich, dass man das sagt, aber ich habe mich hier zu Hause gefühlt. Und wir haben gelernt. Ich habe versucht…in Rumänien habe ich versucht Rumäne zu sein. Und was habe ich dafür bekommen? Einmal, dass man mich deportiert hat. Und einmal, dass man mich aus der Arbeit rausgeworfen hat. Genug. Ich will zu Hause sein.
3/00:16:11
LSY: Noch vor dem Krieg noch: Wie war das Verhältnis von der jüdischen Gemeinde zu der rumänischen Bevölkerung in der Bukowina damals? Habt ihr auch viel Antisemitismus gespürt? Kannst du dich daran erinnern?
YR: Ja. Zum Beispiel: Mein Vater hat immer erzählt. Meine Mutter…wie gesagt, wir haben in einem Dorf gewohnt. Man hat natürlich kein Spital. Also, sie hat irgendwelche Probleme gehabt. Ich weiß nicht genau welche, aber irgendwelche Probleme mit der Geburt meiner Schwester. Und wie sie mich gebären sollte, ist sie nach Iaşi gefahren. Iaşi ist eine Stadt im Norden von Rumänien, eine Universitätsstadt, eine große Stadt. Aber Iaşi war immer bekannt als faschistisch, antisemitisch. Und wie ich geboren bin, sie im Spital war und…sie hat dort Familie gehabt, ganz einfach. Ihre Familie…Verwandte haben dort gewohnt. Und hat ein Telegramm geschickt meinem Vater. Er soll sofort kommen, seinen Sohn sehen. Und die erste Sache, die geschehen ist, dass mein Vater vom Zug herausgekommen ist. Da war eine Studentendemonstration und man hat seinen Zylinder zerbrochen, weil er Jude war. Bei meinem Vater hat man sehr klar gesehen, dass er Jude ist. Eine lange Nase gehabt und das war…seine erste Erinnerung verbunden mit mir war, dass er Schläge bekommen hat. Und es war, ja natürlich, ich würde sagen…in den [19]30er-Jahren hat es schon sehr…haben wir das schon sehr stark gespürt.
[Übergang/Schnitt.]
LSY: Bist du später noch einmal an all die Orte gefahren, wo ihr wart?
YR: Ja. Dabei ist es so, ich glaube, dass…ich war das erste Mal in Rumänien…jetzt war ich schon drei Mal.
[Übergang/Schnitt.]
Ich habe eine Gruppe organisiert von meiner Familie, wir waren fast zwanzig Personen…achtzehn Personen waren wir. Aus Australien, Mexiko, Wien, Paris und Israel. Die Familie ist nämlich ganz… Alle Leute…alle, die in dieser Gruppe waren, sind Leute die nicht bis zum Ende…nicht in Moldoviţa waren, sondern die Eltern und die Großeltern waren. Sind junge Leute oder meine Cousine aus Mexiko und mein Cousin aus Wien, die niemals gewohnt haben in Moldoviţa. Die sind Wiener, aber die haben…die sind immer nach Moldoviţa gekommen…Sommerfrische war das. Also, diese Gruppe habe ich organisiert und sind nach Moldoviţa gefahren und haben gesucht. Wir sind im Zentrum des Dorfes stehengeblieben mit dem Autobus. Wir haben einen Autobus gemietet. Und natürlich hat sich die ganze…die Leute die von da waren, haben sich natürlich unter uns sofort…wir waren fremde Leute, die kommen. Und da frage ich einen…fange an zu reden und sage ich: „Wisst ihr, dass hier eine Familie Rosner mal gewohnt hat und, dass das meine Eltern sind?“ Da sagt eine alte Frau…ohne Zähne war sie…sagt: „Ich wohne im Haus von Familie Rosner.“ [Lacht.] Und hat uns sofort zu unserem Haus gebracht.
3/00:20:26
[Übergang/Schnitt.]
LSY: Wenn du heute deine Identität beschreiben würdest, was würdest du sagen: dass du ganz Israeli bist? Oder wie würdest du deine Identität beschreiben? Was hat dich geprägt?
YR: Ich glaube, ich habe ein Problem damit. Weil ich…vielleicht mehr heute als vor zehn oder fünfzehn Jahren. Es sind viele Sachen geschehen in Israel, die nicht sehr lieb waren. Und wenn ich immer meinen Söhnen gesagt habe: „Lernt von meinem Leben und bleibt in Israel. Das ist euer Land.“ Heute sage ich es ihnen nicht mehr, weil ich heute nicht weiß, was in Israel in den nächsten zehn oder fünfzehn Jahren geschehen wird.
LSY: Was hat dich besonders geprägt in deinem Leben, glaubst du? Ich meine, auch die Erziehung von deinen Eltern: War das eine sehr deutsche Kultur die du da mitbekommen hast?
YR: Sehr, sehr deutsche Kultur. Sehr deutsch. Meine Mutter besonders. Wenn ich einen Fehler begangen habe in Deutsch, das war…das Ärgste was geschehen kann. Und ein jiddisches…ein Wort in Jiddisch zu gebrauchen. Jiddisch ist für…nicht für uns. Wir sind nicht für Jiddisch.
LSY: Man hat sich also sehr mit der deutschen Kultur identifiziert?
YR: Ja, natürlich. Alles…im Haus war alles…nur deutsche Bücher. Nichts Anderes. Die ganze Bibliothek…waren alles nur deutsche Bücher. Und deutsche Zeitung. Mein Vater hat nie eine rumänische Zeitung gelesen. Nur das Czernowitzer Tageblatt. Das war die Zeitung.
LSY: Und wart ihr auch sehr verbunden mit eurer jüdischen Identität?
YR: Ja.
LSY: Die Feiertage hat man alle begangen?
YR: Ja. Feiertage, ja. Also, wir waren nie religiös. Solange meine Großmutter gelebt hat, bei uns im Haus, hat man zum Beispiel Schinken…wir haben zwar gegessen. Meine Mutter…die Eltern haben gekauft, aber auf Papier, nicht in Tellern. So war das.
[Übergang/Schnitt.]
Ich wollte nicht nach Deutschland fahren. Aber da hat eine deutsche Firma…mit welcher ich in Verbindung war, hat mich eingeladen. Und ich bin nach Bonn eigentlich gefahren. Die Fabrik war in Nebenbrunn. Bin nach Bonn geflogen und da habe ich einen…am Wochenende habe ich gesagt: „Ich muss Berlin sehen.“ Und bin mit dem Zug nach Berlin gefahren. Und das war für mich…also, wir sind im Zug gesessen und man spricht…also die Leute die…der Mann, der neben mir gesessen ist. Wir haben gesprochen, wir haben ganz offen gesprochen. Und er hat mir erzählt: „Ich war in der Wehrmacht. Und heute ist es mir schwer meinen Kindern zu erzählen. Und meine Kinder fragen: ‚Und wie, in der Wehrmacht hast du nichts gemacht? Hast du nichts Schlechtes gemacht?’ Und es ist schwer zu erzählen, dass ich nichts Schlechtes gemacht habe.“ Und ich nehme an, dass es wahr ist, dass er…sind nicht alle Kriminelle gewesen.
Aber wie wir die Grenze…man musste ja…um nach Berlin zu kommen, musste man natürlich durch Ostdeutschland fahren. Die zwei Soldaten, die an der Grenze reingekommen sind, die Ostdeutschen, das war etwas Schreckliches. Weißt du, dass…die waren so feindlich zu Israel, wie die den Pass gesehen haben. Für alle anderen, haben den Pass gegeben und ich gebe den Stempel darauf, ja. Auf einen israelischen Pass geben die nicht den Stempel von der DDR [Deutsche Demokratische Republik] drauf. Einen Zettel heraus und gibt den Stempel auf den Zettel und legt den Zettel in den… Aber wie die mich angeschaut haben…schrecklich. Aber es war sehr interessant. Ich habe in Berlin übernachtet. An diesem Tag habe ich eine Tour genommen, die durch Ostberlin gefahren ist. Natürlich nicht stehengeblieben ist. War sehr interessant. Sehr interessant. Aber jetzt, wir waren schon dreimal oder viermal in Berlin. Das ist wirklich schon--
3/00:26:17
LSY: --jetzt fühlt es sich schon anders an, wieder in Deutschland zu sein?
YR: Ganz anders. By the way, meine Projekte in Ägypten…ich war als Vertreter einer deutschen Firma. Ich habe sehr gute Verbindungen in…heute gibt es überhaupt keine…was gewesen ist, ist gewesen, ist was anderes.
[Übergang/Schnitt.]
LSY: Wie viele Sprachen kannst du denn eigentlich? Deutsch, Hebräisch, Rumänisch, Russisch?
YR: Italienisch, Französisch.
LSY: Italienisch, Französisch. Wow! [Lacht.] Hast du je auch ein bisschen Arabisch gelernt?
YR: Nein! Das tut mir wirklich leid, dass ich nie begonnen habe. Jetzt ist es schon zu spät. Es ist zu spät. Aber es tut mir leid, dass ich nie begonnen habe Arabisch zu lernen.
[Übergang/Schnitt.]
LSY: Kannst du mir noch mal die Namen von deiner Mutter, deinem Vater, deiner Schwester sagen?
YR: Ja. Also, mein Vater heißt Littman Rosner mit zwei T. Littman Rosner. Meine Mutter ist Gina Rosner, geboren Markovic. Und meine Schwester ist Nelly Rosner.
LSY: Und mit welchem Namen wurdest du geboren?
YR: Jaques Rosner. Jaques, dabei Jaques französisch geschrieben. [Buchstabiert auf Englisch.] J, A, Q, U, E, S.
LSY: Und was ist noch mal dein Geburtsdatum--
YR: --heute, jeder ruft mich nur Jaques. Yitzak, das ist mein offizieller Name. In der Familie nur Jaques. Niemand.
LSY: Wo du nach Israel gekommen bist hast du den Namen geändert zu Yitzak?
YR: Ja.
LSY: Weil du wolltest?
YR: Es ist komplizierter. Wie ich in dieser Sache mit der rumänischen Regierung verbunden war, mit dem Aufbau der Telefonverbindung, Gesprächsverbindung, habe ich meinen Namen…weil es ja nicht in war, einen jüdischen Namen zu haben, da habe ich meinen Namen geändert. Und mein Name war Andrean Roska. Das ist ein rumänischer Name. Und wie ich nach Israel gekommen bin, habe ich den Namen Rosner zurückgenommen und bei der Gelegenheit habe ich auch Jaques verloren und Yitzak genommen.
LSY: Aber es nennen dich alle Jaques, eigentlich.
YR: Ja, nur. Ich unterzeichne auch Jaques. Für alle Leute.
LSY: Und was ist noch mal dein Geburtsdatum?
YR: 25. November [19]26.
3/00:29:52
LSY: Du machst dir große Sorgen um die Zukunft in Israel, in den letzten Jahren?
YR: Ja. Die Sache beschäftigt mich und die Sache tut mir leid. Aber ich sehe, dass es schlecht geht. Es geht zum Fundamentalismus, zum Nationalismus. Weiß nicht…vielleicht kommt es noch zu einer Wendung, aber schwer zu glauben.
LSY: Du weißt, viele Leute die ich interviewe, sagen das.
YR: Ja?
LSY: Ja. Dass sie sich sehr, sehr große Sorgen machen.
YR: Das ist die Tatsache.
LSY: Und das tut den Leuten, glaube ich, weh. Ja, weil gerade die--
YR: --ja, natürlich. Natürlich tut das weh. Es ist gegen alle Sachen, die ich gedacht habe, die nicht geschehen werden.
LSY: Das ist ja eigentlich quasi nochmal eine zweite Enttäuschung, nach dieser großen Enttäuschung in Rumänien.
YR: Ja! Natürlich, ja!
LSY: טוב, תודה. [hebr.: Gut, danke.]
[Ende des Interviews.]